Schlacht um ar-Raqqa: Vorraussetzungen, Gewaltakteure, Prognose

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Die Stadt ar-Raqqa gilt als eine der bedeutendsten syrischen Städte. Die Stadt liegt am nordöstlichen Ufer des Flusses Euphrat, am Rande von “Sharqiya Syrien”, ein Begriff, der verwendet wird, um Ostsyrien zu beschreiben. Syriens größter Damm, der Staudamm von Tabqa liegt 40 Kilometer westlich von ar-Raqqa. Der Damm ist eine der wichtigsten Strom- und Wasserquellen in Syrien. Er wurde gebaut, um mit Wasserkraft Strom zu erzeugen, sowie die Felder auf beiden Seiten des Euphrat zu bewässern. Die Stadt Tabqa und der nahe gelegene Militärflugplatz von Tabqa befinden sich direkt südlich vom Staudamm. Ar-Raqqa ist durch die Autobahn M4 mit der syrischen Industriehauptstadt Aleppo, der ölreichen Provinz Dair ez-Zor und dem fruchtbaren Gebiet Hasakah verbunden. Nach der Volkszählung aus dem Jahr 2004 beheimatet die Stadt ungefähr 220.000 Menschen. In der ländlichen Umgebung von ar-Raqqa wohnen circa 100.000 Menschen.

Die strategische Bedeutung der Stadt sowie der nahe gelegene Staudamm von Tabqa haben ar-Raqqa zu einem Ziel für jede am Krieg beteiligte Fraktion gemacht und davon hat jede versucht, die Kontrolle darüber zu erhalten.

Zu Beginn der syrischen Krise war ar-Raqqa eine der ruhigsten Provinzen, da es dort zu keinen bedeutenden Protesten oder Gewaltakten kam. An den sporadischen Protesten von Oppositionsgruppen haben zu ihren besten Zeiten nicht mehr als hundert Demonstranten teilgenommen. Dadurch wurde ar-Raqqa und dessen Hauptstadt als im Jahr 2012 die schweren Zusammenstöße zwischen den Einheiten der Regierung und Rebellen stattgefunden haben zu einer der sichersten Provinzen, die von Aleppo, Hasakah und Dair ez-Zor vertriebene loyale Flüchtlinge aufgenommen hat.

Ende 2012 kündigten Ahrar Al-Sham mit der Unterstützung von Jabhat al-Nusra (der syrische Zweig von al-Qaida, jetzt bekannt als Hayat Tahrir al-Sham) ihre Absicht an, die Provinzhauptstadt ar-Raqqa erobern zu wollen und starteten eine militärische Operation. Ahrar al-Sham und Jabhat al-Nusra haben den Militärflugplatz Jirah und die wichtige Stadt Maskanah in der Provinz Aleppo erobert und sind in die Provinz ar-Raqqa einmarschiert. Die Rebellen haben die Stadt Tabqa selbst und den Militärflugplatz von Tabqa erobert und haben die Stadt ar-Raqqa nach 3 Tagen andauernden Gefechten am 6. März 2013 eingenommen.

Die syrische Armee hat keine wirklichen Verteidigungen für die Stadt organisiert. Dies führte zu vielen Fragen bezüglich der Loyalität der Führung in der Provinz, was scheinbar eine wesentliche Rolle beim Verlust dieser strategisch wichtigen Provinz gespielt hat.

Zunächst haben sich die Aktivitäten von IS darauf konzentriert Ahrar al-Sham und Jabhat al-Nusra bei ihren Aktionen gegen die besetzten militärischen Befestigungen der syrischen Armee in der Nähe zu unterstützen. Allerdings begann IS später eine eigene Operation um ar-Raqqa von Ahrar al-Sham und Jabhat al-Nusra zurückzuerobern. IS verkündete im Januar 2014 die Kontrolle über ar-Raqqa erhalten zu haben. Ein Großteil der Terroristen von Ahrar al-Sham und Jabhat al-Nusra sind geflohen und haben dem IS die ganze Stadt überlassen. Diejenigen, die zurück blieben sind haben entweder zu IS gewechselt oder wurden hingerichtet.

In den vergangenen drei Jahren hat IS seine Präsenz und seinen Einfluss in ar-Raqqa systematisch verstärkt, da keine der anderen Einheiten im Krieg für sie eine wirkliche Gefahr dargestellt hat.

Im Jahr 2016, nach der ersten Befreiung von Palmyra, startete die syrische Armee, mit Unterstützung der russischen Luftwaffe, einen Vorstoß mit dem Ziel, den Militärflugplatz von Tabqa und sogar die Stadt ar-Raqqa von IS zurückzuerobern. Allerdings haben die Einheiten der Regierung nicht einmal ihr erstes Ziel erreicht und wurden nach einigen Gegenangriffen von IS zurückgedrängt. Der Beginn der russischen Militäroperation in Syrien im Jahr 2015 änderte den Kurs des Krieges drastisch und machte es der Regierung von Assad möglich erfolgreiche Operationen durchzuführen. Der Vorstoß der Regierung auf den Militärflugplatz von Tabqa führte zu keinen Gewinnen. Dennoch wurde klar das sollte die US-geführte Koalition gegen IS die terroristische Gruppe in Syrien weiterhin ignorieren die syrische Regierung und ihre Verbündeten dieses Problem selbst lösen könnten. (Zum Beispiel hat die syrische Armee im selben Jahr die Stadt Aleppo von Jabhat al-Nusra und ihren Verbündeten befreit und das war eine der größten Errungenschaften der Regierung in diesem Krieg.) Dies könnte für die USA ihre regionalen Verbündeten zu einem großen Versagen auf diplomatischer und PR-Ebene werden.

Im Oktober 2015 erschien im Krieg eine neue Marke der US-unterstützten Kräfte. Während einer Pressekonferenz in Haskah einer Stadt die von der Partei der demokratischen kurdischen Union (PYD) und ihrem militärischen Flügel den Volksschutzeinheiten (YPG) kontrolliert wird, ist die Gründung der demokratischen Einheiten Syriens (SDF) bekannt gegeben worden. Während die USA und die Mainstream-Medien behauptet haben, dass die SDF eine multiethnische Organisation sei, wurde die YPG und die YPJ, das weibliche Äquivalent der YPG, zum Kern der Gruppe. Dieses Problems bewusst hat die US-geführte Koalition im Jahr 2016 und Anfang 2017 erhebliche Anstrengungen unternommen, um eine arabische Fraktion innerhalb der SDF zu bilden. Allerdings blieben die kurdischen Milizen weiterhin der unumstrittene Kern der SDF.

Am 6. November 2016 startete die SDF, mit Unterstützung der Luftwaffe und Spezialeinheiten der US-geführten Koalition, die Operation “Euphrat-Zorn”, deren Ziel es war, IS aus der Provinz ar-Raqqa zu vertreiben.

Momentan bestehen die SDF offiziell aus:

  • 36.000 YPG-Kämpfern
  • 24.000 YPJ Kämpfern
  • 20.000 arabische Stammes-Kämpfer einschließlich Gruppen wie der Militärrat Manbij

Zwischen 10.000 und 20.000 Mitgliedern der kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die im von den SDF gehaltenen Gebiet in Nord-Syrien präsent sind und inoffiziell an SDF-Militäroperationen teilnehmen. Offizielle Vertreter der PYD und der YPG haben diese Tatsache wiederholt abgelehnt, weil sie die US-türkischen Beziehungen negativ beeinflussen könnten. Das offizielle Zugeständnis dieser Tatsache würde auch einen Vorwand für Ankara schaffen, um eine militärische Operation gegen die SDF zu starten. Die Türkei und eine Reihe weiterer Nationen beschreiben die PKK als terroristische Gruppe. Die türkische Führung beharrt darauf, dass die YPG nur ein Zweig der PKK ist.

Allerdings haltet dies Ankara nicht davon ab, entlang der türkisch-syrischen Grenze militärische Angriffe auf YPG-Ziele durchzuführen. Die Vereinigten Staaten wurden dazu veranlasst, in der Provinz Aleppo ihre militärische Aktivität entlang der Grenze und an einer kontinentalen Linie zwischen den SDF und den pro-türkischen Rebellen zu erhöhen, um eine mögliche groß angelegte türkische Militäroperation gegen die SDF / YPG in Nord-Syrien zu verhindern. Somit bilden die US-Truppen einen Puffer zwischen der Türkei und den SDF.

Der Vorstoß der SDF in der ländlichen Umgebung von ar-Raqqa geht durch die immense Unterstützung von Kampfjets, Kampfhubschraubern und Artillerie der US-Koalition weiter. Die USA haben auch einige Flugplätze in Syrien ausgebaut. Sie werden für Lieferungen an die SDF und als vorgeschobene Außenposten für US-Kampfhubschrauber verwendet. Die US-amerikanischen, französischen und deutschen Spezialeinheiten haben bei der Unterstützung der SDF vor Ort auch eine wichtige Rolle gespielt. Das US Marine Corps unterstützt die Operationen der SDF rund um ar-Raqqa mittels Artillerie.

Bislang gelang es den SDF, ar-Raqqa aus westlicher, östlicher und nördlicher Richtung zu überflügeln, den Euphrat zu überqueren und den Militärflugplatz Tabqa, die Stadt Tabqa selbst zu erobern und sich darauf zu fokussieren die von IS selbsternannte Hauptstadt aus südlicher Richtung abzuschirmen.

IS hat seit der Ankündigung der Koalition bezüglich der Operation-Raqqa im Jahr 2016 ihrerseits damit begonnen sich für die Schlacht um ar-Raqqa vorzubereiten.

Von Anfang an war klar, dass IS es nicht beabsichtigt, die vielen Dörfer in der ländlichen Umgebung von ar-Raqqa zu verteidigen. Im Gegenzug implementierte IS einen mobilen Verteidigungsversuch. Die IS-Terroristen haben sich unter dem Druck der SDF und der US-geführten Koalition aus den kleinen Dörfern zurückgezogen und mit VBIEDs Gegenangriffe durchgeführt.

Ziel dieser Strategie war es (und ist es immer noch) den Einheiten und der militärischen Gerätschaft der SDF größtmöglichen Schaden zuzufügen, anstatt kleinere Siedlungen ohne strategischen Wert zu verteidigen. Tabqa, der Militärflugplatz und der Staudamm von Tabqa waren die einzigen Orte die IS aufgrund ihres strategisch hohen Wertes verteidigt hat – durch die Kontrolle über diese Orte würden die US-unterstützten Einheiten auf dem südlichen Ufer des Euphrat westlich von Tabqa erst einmal richtig Fuß fassen müssen.

In und um die ganze Stadt ar-Raqqa hat IS Ende 2016 durch den Bau einer hohen Berme und eines Graben um die komplette Stadt herum damit begonnen massenhaft Befestigungsanlagen zu errichten. Mehrere lokale Quellen haben zudem berichtet, dass die Terrororganisation in ar-Raqqa an der Errichtung einiger komplizierter Tunnels, Schützengräben und Zementschranken gearbeitet hat.

Darüber hinaus haben Oppositionsquellen berichtet das IS, damit begonnen hat Sprengstoffe zu mischen und in anfälligen Gebieten in und um die Stadt IED-Sprengfallen zu verstecken.

Zur Jahreswende 2017 nach dem Erfolg der US-unterstützten Kräfte in der westlichen und östlichen Umgebung von ar-Raqqa und der Sperrung der Autobahn die ar-Raqqa und Dair ez-Zor miteinander verbindet und zusätzlich zu der Widerstandsfähigkeit der syrischen Armee in Dair ez-Zor, begann IS, ihre Ausrüstung und Munition ins Innere der Stadt zu verlagern sowie Gefechtsstellungen und Scharfschützen-Nester zu errichten. Die Terrororganisation hat auch ihre erfahrensten Kämpfer in die Stadt verlagert.

Verschiedenen Quellen nach hat IS in ar-Raqqa zwischen 5.000 und 10.000 Kämpfer und ihre effektivste Bewaffnung einschließlich TOW und Fagot Raketen aus Idlib her geschmuggelt. IS hat auch Waffen wie RPG-29 und OSA M-79 Raketenwerfer für die Schlacht um ar-Raqqa eingelagert. In der Stadt wurden Dutzende Panzer und gepanzerte Fahrzeuge stationiert. Die Gruppe produziert mit ihrem Sprengstoffbestand aktiv verschiedene Arten von VBIEDs.

Militärische Planung, eine motivierte Infanterie und ein ausgeklügelter Einsatz von VBIEDs sind hauptsächlichen Fähigkeiten der IS-Terroristen.
Das derzeitige Ziel der US-geführten Einheiten ist es, die Kontrolle über die Landschaft um ar-Raqqa herum zu erlangen und somit aus nördlicher und westlicher Richtung zusätzlichen Druck auf die Terrororganisation auszuüben. Es wird angenommen, dass die US-geführte Koalition und ihre Verbündeten Bodentruppen versuchen werden, eine Operation ähnlich jener in Mossul zu wiederholen. Allerdings gibt es einen Unterschied: Die US-unterstützte Kräfte könnten südlich von ar-Raqqa für die IS-Terroristen einen Fluchtweg offen lassen. Dies würde es ermöglichen, den Widerstand der IS-Terroristen in der Stadt zu verringern. Wenn dies getan wird, können viele ehemalige IS-Terroristen weiter und frei in Syrien leben. Einige von ihnen könnten dann als Flüchtlinge nach Europa ziehen.

Der Ansturm von ar-Raqqa wird eine große Bombardements-Kampagne der US-geführten Luftwaffe durch Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber und Drohnen sowie als auch der Artillerie der US-Marines beinhalten. Die USA werden ihre militärische Präsenz an den Frontlinien gegen IS ausbauen und weitere Truppen und militärisches Gerät einsetzen. Gleich wie in Mossul werden Washington und die Mainstream-Medien wahrscheinlich leugnen das die US-Truppen aktiv an den Kämpfen gegen IS in ar-Raqqa beteiligt sind. Doch ohne aktiver Unterstützung des US-Militärs werden die SDF kaum dazu in der Lage sein ar-Raqqa in einem realistischen Zeitraum von IS zurückzuerobern. Die IS-Terroristen werden auch ihre gesammelte Erfahrungen bei den Kämpfen in Mossul nutzen und mit gut ausgerüsteten kleinen Gruppen, sehr vielen Scharfschützen auf allen Straßen in der Stadt und natürlich auch erheblichem Einsatz von VBIEDs und Selbstmordattentätern jegliche Ansammlungen der SDF anzugreifen und auf allen Straßen der Stadt Minen und IED-Sprengfallen zu verstecken.

Eines der größten Probleme, denen die SDF entgegensehen, sind die vielen Zivilisten in der Stadt. Laut lokalen Quellen leben dort 250.000 Menschen, darunter Flüchtlinge aus Dair ez-Zor und dem Irak, und Familien von IS Terroristen.

Generell wird erwartet das die Schlacht voraussichtlich Monatelang andauern wird und leider genauso wie in Mossul dabei sehr viele Zivilisten durch das Bombardement der Koalition getötet werden. Die US-Militärbeamten behaupten das die von den USA unterstützten Einheiten diesen Sommer damit beginnen werden ar-Raqqa zu erstürmen. Trotzdem lässt es sich nur sehr schwer prognostizieren wann die Stadt aus den Händen der Terroristen befreit ist. Die irakischen Streitkräfte haben am 16. Oktober 2016 mit ihrem endgültigen Vorstoß auf die IS-Hochburg Mossul begonnen und die Stadt wurde bisher noch nicht komplett befreit.

Die Spannungen zwischen den PYD/YPG und der türkischen Regierung sind ein weiterer Faktor der sich auf den Vorstoß auf ar-Raqqa Auswirkt und das ganze verlangsamt.

Unterdessen haben die hauptsächlich aus Kurden bestehenden SDF angekündigt, dass die befreite Stadt in die Föderation von Nordsyrien-Rojava, dem von YPG/SDF gehaltenen Gebiet in Nord-Syrien, aufgenommen werden wird.

Das wirft innerhalb der syrischen Regierung viel Sorge auf und viele Beauftragte der Regierung bezweifeln die Loyalität der Verwaltung, die dann über die Stadt und dem Wunsch des Volkes dem kurdischen Föderalismus beizutreten herrschen wird, vor allem nach vielen Diskussionen über die rassistischen Praktiken der kurdischen Bundesverwaltung in Hasakah und Qamischli gegen die Araber. Einige Spekulationen lauten sogar, dass, wenn es den SDF gelungen sei, die Kontrolle über die Stadt herzustellen, sie dabei scheitern könnten sie zu verwalten. Allerdings ist es noch zu früh, um so weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen.

Die Befreiung von ar-Raqqa ist ein wichtiger Bestandteil der breiteren Anstrengungen, um die IS-Terroristen aus Syrien und dem Irak zu vertreiben. Alle Seiten sind sich in diesem Punkt einig.

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