Geschrieben von J.Hawk exklusiv für SouthFront
Joe Bidens umfangreiches Interesse an der Ukraine während seiner Amtszeit als Obamas Vizepräsident bedeutete, dass die Aufmerksamkeit der USA gegenüber dem Land in den Augen der neuen Administration sofort erhöht werden würde. Der Burisma-Skandal, in den Hunter Biden verwickelt war und der für Joe Biden auf der Wahlkampftour zu einem Problem wurde, kombiniert mit Bidens eigener offensichtlicher Gebrechlichkeit und der Vermeidung umfangreicher öffentlicher Auftritte, haben dazu geführt, dass Biden noch kein Telefongespräch mit Zelensky geführt hat. Egal, ob er sich bewusst dafür entschieden hat, die Ukraine-Politik an seine vertrauten Berater auszulagern, oder ob diese die Initiative ergreifen, um das Machtvakuum zu füllen, das die Unfähigkeit ihres Chefs hinterlassen hat, die US-Ukraine-Politik hat in den weniger als zwei Monaten der Biden-Administration eine Reihe neuer Wendungen genommen.
Ende der indirekten Kontrolle?
Das bisherige Vorgehen der Biden-Administration deutet auf ein gewisses Maß an Ungeduld mit dem Treiben in Kiew hin, das sich in vielen Fragen allzu eigenständig verhielt. Kiews Entscheidung, den Flugzeugmotorenhersteller Motor Sich zu verstaatlichen, dessen Kauf von chinesischen Investoren angestrebt wurde, raubte der Ukraine einen bedeutenden Zufluss dringend benötigter harter Devisen.
Dies geschah, nachdem Washington seinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht hatte, dass chinesische Unternehmen in der Ukraine Fuß fassen und darüber hinaus Zugang zu Technologien aus der Sowjet-Ära haben, die für Chinas Luft- und Raumfahrtindustrie attraktiv sind.
Diese Aktion [die Verstaatlichung von Motor Sich] wurde trotz des beträchtlichen Risikos chinesischer Vergeltungsmaßnahmen ergriffen, die dann auch prompt erfolgten: das chinesische Außenministerium hat sein ukrainisches Pendant darüber informiert, dass es dessen Wünsche bezüglich wirtschaftlicher Aktivitäten auf der Krim In Zukunft nicht mehr respektieren würde.
Die sofortige Zustimmung der US-Botschaft in Kiew zur Schließung von drei oppositionellen Fernsehsendern durch Zelensky und die Verhängung von Sanktionen gegen einen den ukrainischen Oppositionsführer Medwedtschuk mit der Begründung, sie alle seien in die Verbreitung sogenannter “russischer Desinformation” verwickelt, deutet darauf hin, dass Washington zumindest von diesem Schritt wusste und ihn vielleicht sogar veranlasst hat. Die US-Sanktionierung von Igor Kolomojskij mit der Begründung, er habe die ukrainische Politik korrumpiert, deutet darauf hin, dass Zelenskij bei der Erfüllung von Washingtons Wünschen nicht weit genug gegangen ist. Damit hat Washington demonstriert, dass es bereit ist, Zelensky öffentlich zu demütigen, sollte er sich nicht entsprechend den Wünschen der USA verhalten. Die Frage ist nun, in welche Richtung wird Washington Zelensky drängen? Wie weit und mit welchen Mitteln wird Washington seinen Willen durchsetzen, und inwieweit wird sich Zelensky widersetzen?
Neue Chance für einen Krieg im Donbass?
Der größte Dienst, den die Ukraine der Regierung Biden erweisen könnte, wäre ein Generalangriff auf Noworossia. Ein erbitterter Kampf zwischen ukrainischen und DVR/LPR-Kräften würde sofort für die nötigen Schlagzeilen sorgen um Russland zu verurteilen und weitere Wirtschaftssanktionen einzuführen, die bisher kein noch so großer Giftanschlag auf Nawalny erreichen konnte, nämlich die Aussetzung oder sogar Abschaltung der Nord-Stream-2-Pipeline, die den angelsächsischen Mächten ein Dorn im Auge und für Deutschland eine Frage der nationalen Selbstbehauptung geworden ist. Eine groß angelegte Militäraktion mit mehreren Brigaden, unterstützt durch Luftstreitkräfte und die inzwischen einsatzbereiten Bayraktar-TB-2-Drohnen, um den Erfolg Aserbaidschans gegen Armenien in Berg-Karabach zu wiederholen, würde Moskau vor die wenig beneidenswerte Wahl stellen, den Donbass seinem Schicksal zu überlassen oder seine regulären Streitkräfte zur Verteidigung Noworossias einzusetzen.
Ob die politische Führung der Ukraine bereit ist, eine solch verzweifelte Maßnahme zu ergreifen, in einem Land, dessen Präsident unter einer Zustimmungsrate von nur 20 % leidet und in dem es in letzter Zeit umfangreiche Proteste gegen die Erhöhung der Stromtarife gab, ist eine andere Frage. Einerseits haben die ukrainischen Truppenbewegungen im Donbass große Aufmerksamkeit erregt, und die Feuergefechte zwischen ukrainischen und novorossischen Truppen scheinen in den letzten Wochen in erhöhtem Tempo weitergegangen zu sein. Gleichzeitig wurden keine außergewöhnlichen Maßnahmen wie der Rückruf von Reservisten oder die Schließung von Grenzen beobachtet, um Männer im wehrfähigen Alter am Verlassen des Landes zu hindern. Die ukrainische Rada erwägt zwar Gesetze, die die Wehrdienstverweigerung härter bestrafen, aber diese Gesetze werden keine unmittelbare Wirkung haben und scheinen eine Reaktion auf das Versäumnis zu sein, eine Berufsarmee von Freiwilligen aufzubauen oder den Wehrpflichtigen auch nur einen positiven Grund zu geben, zu dienen. Es wurde sogar darauf hingewiesen, dass die ukrainischen Truppenbewegungen so ostentativ gewesen seien und selbst elementare Anstrengungen zur Wahrung der Tarnung und Überraschung vermissen ließen, dass sie wohl eher einen “Nervenkrieg”, eine Übung in gezielten Provokationen und möglicherweise einen Versuch darstellten, eine Aktion zum Nutzen Washingtons zu simulieren, als echte Vorbereitungen für eine Offensive.
Der Zug mit einer verstärkten Panzerkompanie, der im Laufe mehrerer Tage beim langsamen Passieren von drei verschiedenen Bahnübergängen in der Ostukraine gesichtet wurde, sieht eher aus wie eine für die allgegenwärtigen Smartphone-Kameras inszenierte Operation.
Daher bleibt die Wahrscheinlichkeit, dass sich das ukrainische Militär für eine groß angelegte Offensive entscheidet, relativ gering, da man schwere und sinnlose Verluste befürchtet, die die Moral des ukrainischen Militärs zum Zusammenbruch bringen könnten – mit unvorhersehbaren Folgen. Kleinere Angriffe zur Eroberung ausgewählter Stellungen, Beschuss von Städten in Noworossia oder gar eine inszenierte Gräueltat bleiben aus politischer Sicht plausibler und attraktiver. Die gefährlichste militärische Fähigkeit der Ukraine stellen Bayraktar-Drohnen, Marschflugkörper wie die Neptun und ballistische Kurzstreckenraketen dar, die derzeit in Betrieb und/oder in der Entwicklung sind, weil ihr Einsatz nicht die Gefahr größerer ukrainischer Verluste mit sich bringen würde. Darüber hinaus wären die Streitkräfte Noworossias kaum in der Lage, auf derartige Angriffe in Form von angemessenen Vergeltungsmaßnahmen zu reagieren. Russische Bemühungen in dieser Richtung wären international höchst provokativ und bergen zudem das Risiko, dass ukrainische Zivilisten zu Schaden kommen. Zum Glück für Noworossia bleibt der ukrainische Drohnenpark relativ klein und die Drohnen selbst sind durch Noworossias Luftabwehr verwundbar, während – bedingt durch die geringe Anzahl – die in der Ukraine vorhandenen Marschflugkörper und ballistischen Raketen noch Jahre von einem groß angelegten Einsatz entfernt sind. Die Art von Raketenbeschuss, die eine echte Bedrohung für die nicht anerkannten Republiken Novorossias darstellen würde, liegt noch für viele Jahre in der Zukunft, wenn nicht sogar länger. Bis es soweit ist, werden die Streitkräfte Noworossias wahrscheinlich über eigene Mittel der Vergeltung in Form von Sperrmunition verfügen, die auch als “Selbstmorddrohnen” bezeichnet werden und vor Ort in Donezk und Lugansk hergestellt werden könnten. Die derzeitigen Fähigkeiten der Ukraine reichen jedoch aus, um Provokationen zu starten, wie zum Beispiel durch Bombardierung ziviler Ziele, wie es 2014 in Mariupol der Fall war.
Der Faktor Erpressung?
Dass das ukrainische Militär nicht wirklich bereit ist, ein weiteres Missgeschick gegen Noworossia zu riskieren, ist offensichtlich, ebenso wie Zelenskys Zurückhaltung, als DER Präsident in die Geschichte einzugehen, der die Ukraine zerstört hat. Diese Überlegungen dürften für die Entscheidungsträger in Washington, die die Ukraine brauchen, um die Interessen der USA voranzubringen, und nicht die der USA, um die Interessen der Ukraine voranzubringen, kaum von Bedeutung sein. Aber wie weit Washington bereit ist, Druck auf Zelensky auszuüben, ist noch unklar, obwohl die Möglichkeit einer offenen Erpressung aufkam, als ein prominenter Maidan-Propagandist, Dmitry Gordon, ankündigte, dass am 15. März, den “Iden des März”, die durch die Ermordung von Julius Cäsar verewigt wurden, ein Prozess von historischem Ausmaß bevorstünde, sobald eine bestimmte bombenartige Nachricht bekannt würde. Während der 15. März kam und ging, ganz ohne Bomben oder auch nur Blindgänger, enthüllte Gordon, dass das Ereignis aus einer Bellingcat-“Untersuchung” in Form eines Videos bestehen sollte, in dem der ukrainische SBU [der ukrainische Inlandsgeheimdienst] Wagner PMC Söldner auf ukrainischen Boden locken und dort festsetzen wollte. Der “Bomben”-Aspekt der Bellingcat-Bemühungen ist, dass das Komplott aufgrund einer hochrangigen Quelle in Zelenskys eigenem Präsidialkabinett scheiterte, die Details des Komplotts an russische Geheimdienste durchsickern ließ. In Anbetracht des Rufs von Bellingcat als Firma, die Info-Kriegsführung mit “Hits” auf bestimmte Ziele betreibt, und Gordons “Hyping” der Auswirkungen des Films, sobald dieser veröffentlicht werde, muss man die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Bellingcat Teil einer Kampagne zur Erpressung des ukrainischen Präsidenten ist. Vielleicht sogar mit dem Ziel, Zelensky aus dem Amt zu entfernen. Laut Gordon ist die Veröffentlichung des Films jetzt für Anfang April geplant, was Zelensky vermutlich ein bisschen mehr Zeit gibt, um die gewünschte “Ware” zu liefern.
Wie bereits erwähnt, hat Zelensky die Einmischung Washingtons in die ukrainischen Angelegenheiten kritisiert, obwohl es abzuwarten bleibt, ob er in der Lage ist, sich gegen seine eigenen nationalen Sicherheitsberater durchzusetzen, die ihm zwar formal unterstellt sind, in Wirklichkeit aber Befehle aus Washington entgegennehmen. Da selbst sein Vorgänger Poroschenko über keine unabhängige Machtbasis verfügte, die es ihm erlaubt hätte, sich Washingtons Initiativen zur “Reformierung” der ukrainischen Wirtschaft zu widersetzen, könnte sich Zelensky aus der Sicht Washingtons, wenn auch nicht aus der der Ukraine, als geradezu idealer Präsident erweisen.