Meinung – Der Syrien-Krimi

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Original Veröffentlicht von Dominic H – www.domiholblog.tumblr.com

Dominic H – 22-09-2016

Wer hatte geschossen?

Die Lichter im Kinosaal gehen aus. Der Vorspann eröffnet mit ausserhalb des sichtbaren Bildes erklingenden Schüssen und dem Satz «Hallo, hier spricht Edgar Wallace». Im Gegensatz zum heute beliebten Psychothriller ging es in Krimis der 1960er um das Entlarven des bis zum Finale unbekannten Verbrechers. Wer hatte geschossen?

«Immer, wenn wir denken, es geht nicht mehr schlimmer, dann sinkt die Verdorbenheit noch ein Stück tiefer.» Der meist schüchtern wirkende Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon redet sich am 20. September 2016 zur Eröffnung der UNO-Generaldebatte förmlich in Rage. Er empört sich über den Angriff am Tag zuvor auf einen gemeinsamen Hilfskonvoi von UNO und Roten Halbmond in Syrien. In seine Wutrede mengt er ungeniert die standardisierten, jedoch unbewiesenen Beschuldigungen gegen die syrische Regierung: Fassbomben, Folterungen und dass keine Gruppe so viele Unschuldige getötet habe, wie die syrische Regierung. Glaubt Ban, was er sagt oder muss er vor seinem Abgang noch ein paar Schulden begleichen? Klüngel ist nun mal Teil der UNO und dient nicht nur dem Ausräumen von Schwierigkeiten im Vorfeld pseudo-demokratischer Entscheidungen. Ban redet von «Luftangriff» und nennt es eine «widerwärtige, barbarische und offensichtlich vorsätzliche» Tat.

Hat Ban die angenommene Unparteilichkeit des höchsten Repräsentanten der Weltorganisation? Begeisterung für den «Arabischen Frühling» – die hat er. Am 14. Januar 2012 weilte Ban in Beirut und jubelte bei einem Galadiner: «Staaten kommen näher, um den Ruf von Menschen zu beantworten, welche sich friedlich versammelt haben in den Strassen von Tunis, Kairo, Benghazi und Tripoli, Sana’a, Dara’a, Hama und Homs.» Erstaunlich, wie Ban zu dem Zeitpunkt noch diese Rede halten konnte. Weniger als drei Monate zuvor durfte in Libyen der Revolutionsführer Muammar Gaddafi mit einem Bayonet im Arsch nach drei-stündiger Folter durch sogenannte «Rebellen» endlich sterben. Libyen als Staat war ebenfalls tot, in Tunesien und Ägypten fürchtete die liberale Gesellschaft die Islamisten-Diktatur und im Jemen braute sich nichts Gutes zusammen. Und was ist eigentlich mit den Ordnungskräften, die im syrischen Dara’a, Hama und Homs durch Bans «friedlich» Versammelte sterben mussten?

Am nächsten Tag sprach der Generalsekretär bei einem hochrangigen Treffen mit dem Titel «Reformen und Wechsel zur Demokratie». Die «Winde der Veränderung» würden nicht aufhören zu wehen – die «Flammen der Freiheit aus Tunesien» würden sich nicht mehr löschen lassen. Mit pompös lincolnesker Rhetorik forderte Ban den syrischen Präsidenten auf mit dem «Töten seines eigenen Volkes» aufzuhören.

«Reformen» und «Demokratie» sind also wichtig für Ban? Seit dem 13. Oktober 2006 ist er Generalsekretär des Weltgremiums. Seither wird er immer wieder der Korruption und Verschleierung bezichtigt. Nur ein Beispiel: Während seines Besuchs in Österreich in 2010 zur Eröffnung einer neuen internationalen Organisation in Laxenburg sprach er in der Wiener Hofburg: «Die Eröffnung der Internationalen Anti-Korruptionsakademie ist ein Meilenstein in den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, die Korruption zu bekämpfen.» Am 27. Juni 2012 verurteilte ein Genfer UNO-Tribunal den eigenen Chef. Ban musste dem österreichischen Juristen Dr. Walter Gehr Schadenersatz zahlen. Gehr hatte als Mitarbeiter der in Wien ansässigen UNO-Behörde für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) Unregelmässigkeiten aufgedeckt. Daraufhin wurde er anscheinend systematisch schikaniert. 13 Monate lang ignorierte Ban die Beschwerde. Für den Richter war es ein Verstoss gegen Korruptionsregeln der UNO.

Auch Vorwürfe der Vetternwirtschaft gibt es. Beispielsweise Bans Schwiegersohn, welcher einen hohen Posten in der UNO erhielt, ohne dass sich dabei der Generalsekretär wegen Voreingenommenheit aus der Entscheidung zur Postenvergabe ausgeschlossen hätte. Auch Bans politischer Mentor Han Seung-soo bekleidet eine hohe Position in der Weltorganisation – zugleich erlaubt ihm Ban jedoch seine Position im Verwaltungsrat von ‹Standard Chartered› zu behalten – eine Bank, welche sich um UNO-Geldangelegenheiten kümmert. Han ist auch im Verwaltungsrat des Mischkonzerns ‹Doosan› – welcher ebenfalls mit der UNO geschäftliche Beziehungen unterhält. Doosan machte in den vergangenen Jahren Geschäfte mit Saudi-Arabien über viele Milliarden US-Dollar. Auf einer ‹Liste der Schande› führt die UNO Staaten, Terrorgruppen und Armeen, welche Kinder rekrutieren und töten. In der ersten Version für 2015 fand sich auch Saudi-Arabien auf dem Papier – allerdings nur für einen Tag. Bans Sprecher erklärte die Änderung: «Die Welt dreht sich weiter, Dinge entwickeln sich.»

Der Mörder ist immer der Gärtner

«Der Mörder ist immer der Gärtner, und der schlägt erbarmungslos zu!» So sang der deutsche Liedermacher Reinhard Mey in 1971. Der Titel des Parodie-Liedes auf die Stereotypen der populären Edgar-Wallace- und Agatha-Christie-Krimis, wurde zum geflügelten Wort.

Auch Kriegspropaganda braucht Stereotypen – automatisch kognitive Zuordnungen. Propaganda ist ein wichtiger Teil der politisch-militärischen Strategie und erzeugt mit Feindparolen Kriegsbereitschaft und macht so Kriege politisch oft überhaupt erst möglich. Menschen fallen heute genauso auf hysterisches Geschrei herein, wie Generationen vor ihnen. Das Völkerrecht erlaubt keinen Angriffskrieg, doch seit der Zerstörung eines Staates namens Jugoslawien weiss jeder, wie einfach man mit «Intervention» die gleichen Endresultate erzielen kann.

Durch gezielte Wortwahl kann Propaganda Emotionen hervorrufen oder diese unterdrücken: Ein brutaler Bomben-Krieg wird mit sprachlicher Schönfärberei zum «Einsatz» oder zur «humanitären Intervention». Mit «Luft-Kampagne» fürs Bomben abwerfen und «Kollateralschaden» für tote Zivilisten tönt alles gleich viel netter. «Diktator», «Machthaber», «Schlächter», «Regime», «Fassbomben», «Giftgas», «Folterungen», «gegen das eigene Volk», «ziellos bombardieren», «Massaker», «ethnische Säuberung» – all das sind Schlagwörter, die seit Jugoslawien beim Wahlschaf keine Zweifel aufkommen lassen, dass diese üble Gegenseite die «Luft-Kampagne» verdient hat. Zur moralischen Rechtfertigung der Bewaffnung von Regierungsgegnern bis hin zur Flächen-Bombardierung einer Hauptstadt bedient sich westliche Propaganda der Konzepte von: «Demokratie», «Freiheit», «Gerechtigkeit» und – besonders gerne – Menschenrechte. Während man innenpolitisch menschenunwürdige Obdachlosigkeit akzeptiert, werden aussenpolitisch die Menschenrechte zum Schlachtruf.

Im Syrien-Konflikt hilft gezielte Propaganda schon lange dem kollektiven Selbstbetrug nach. Beispiel Fassbombe: Diese soll eine aus Hubschraubern abgeworfene improvisierte Explosionswaffe sein, welche wegen ihrer Ungenauigkeit schlimmer sein soll, als die ach so präzisen Waffen des Washingtoner Interventions-Monsters. Die USA sollen ja gelegentlich auch unschuldige Zivilisten ermorden – was aber dann immer mit dem Euphemismus «Kollateralschaden» abgetan wird. Der syrische Präsident verneint zwar die Existenz von Fassbomben – doch wem interessiert schon, was ein «Regime» sagt? Verwackelte Handy-Aufnahmen, Schauspieler, Requisiten – es ist weit einfacher die Existenz von etwas zu suggerieren, als zu beweisen, dass es etwas nicht gibt. Vom Jugoslawien-Krieg bis heute haben sich US-amerikanische PR-Agenturen bei der Konstruktion von Kriegsrechtfertigungen eine goldene Nase verdient. Das Narrativ ähnelt sich: Krieg wird uns von einer medial dämonisierten Unperson aufgezwungen. Unsere Seite «interveniert» ausschliesslich aus einer uneigennützigen, humanitären Gesinnung heraus. Der Feind hingegen ist grausam und tötet wahllos mit unerlaubten Waffen. Zur Emotionalisierung und Skandalisierung ist die Fassbombe ideal.

Die Gegenseite ist dämonisiert – Zeit «die Guten» in dem als «Bürgerkrieg» verkauften Konflikt vorzustellen. Eintritt ‹Weisshelme›. Die unverwechselbare Kopfbedeckung ihrer Mitarbeiter verleiht der Organisation ‹Syrischer Zivilschutz› den werbewirksamen Namen. Es ist eine Regierungsgegner-Organisation – der syrische Staat hat längst entsprechende Einrichtungen. Die Weissen Helme werden nachweislich über die Aussenministerien von USA und Grossbritannien finanziert und verfügen über ein Budget von über 30 Millionen US-Dollar. Dafür leistet man sich das Beste an Öffentlichkeitsarbeit (PR). Es hat sich gelohnt. Weisshelme sind bei West-Medien so beliebt, dass ihnen regelrechte Hagiographien als «Berichte» oder «Dokumentarfilme» gewidmet werden. Es regnet Auszeichungen und den Friedensnobelpreis hat man praktisch schon in der Tasche. In Syrien selbst legen die geehrten Zivilschützer jedoch ein Benehmen auf den Tag, welches nicht ganz dem Bild entspricht, welches ihre New Yorker PR-Agentur für sie zeichnet. Da freuen sich gefilmte Lebensretter die Leichen ihrer Feinde auf den Müll werfen zu dürfen und verwenden dabei eindeutig sektiererische Begriffe. Uniformierte Weisshelme sehen wir beim Aufräumen nach Hinrichtungen und Zivilschützer in Zivil filmen sich entspannt beim Verspotten von Kriegsgefangenen vor deren Ermordung. Schliesslich gibt es auch noch Aufnahmen von Weisshelmen, wie sie begeistert mit der schwarzen Kriegsflagge der syrischen Al-Kaida wedeln.

Harry, hol’ schon mal den Wagen!

Der Satz mit der Aufforderung des Münchner Oberinspektors an seinen Untergebenen das Auto bereitzustellen, gehört zur deutschen Fernsehkrimiserie ‹Derrick›. Unter den Fans hat die Zeile Kultstatus. Diese Worte wurden jedoch in der Sendung selbst nie gesprochen und wurden nur durch ihre häufige Verbreitung zur Tatsache.

Erfundenes kann mit entsprechender Verbreitung schnell zur Tatsache werden. «Man muss eine Lüge nur oft genug wiederholen, und sie wird zur Wahrheit», meinte einst sinngemäss Joseph Goebbels, Adolf Hitlers ‹Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda›. Dass diese Worte bis heute von Bedeutung sind, zeigen die deutlichen Spuren, welche die Hetzkampagnen gegen den syrischen Staat und gegen Russland im Massenbewusstsein hinterlassen haben.

Das Ziel des Hilfskonvois sei sowohl der syrischen wie der russischen Regierung bekannt gewesen, wetterte der Sprecher des US-Aussenministeriums, John Kirby. «Und dennoch wurden die Helfer getötet, während sie versuchten, den Menschen in Syrien beizustehen.» Die US-Regierung stelle die Kooperation mit Russland in Frage und werde die Bombardierung direkt mit Moskau thematisieren, drohte er.

Dann meldete sich Ben Rhodes, der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu Worte. Alle «Informationen» würden darauf hindeuteten, dass die Fahrzeugkolonne aus der Luft angegriffen worden sei. Da die Regierungsgegner in Syrien keine Flugzeuge hätten, könne der Angriff also nur von der syrischen oder der russischen Luftwaffe geflogen worden sein. (Was er wohl vergessen hatte: Im syrischen Himmel fliegen derzeit bis zu einem Dutzend verschiedener Staaten ihre Luftwaffen-«Einsätze».)

Luftangriff, Luftangriff, Luftangriff …. Haben wir es endlich alle kapiert? Es war ein – ja genau – Luftangriff. Für den Präsidentenberater, der hier offiziell für die US-Regierung sprach, war der Fall gelöst und abgeschlossen: «In jedem Fall machen wir die russische Regierung für Luftangriffe in dieser Region verantwortlich.»

Elementar, mein lieber Watson

Besondere Bedeutung für die Kriminalliteratur erlangte die vom britischen Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle geschaffene Kunstfigur Sherlock Holmes durch seine forensische Arbeitsmethode. Als sein Chronist fungierte der praktisch veranlagte Dr. Watson – enger Freund und Pendant zum analytisch-rationalen Denker Holmes. Nirgends in den um den Detektiv verfassten 56 Kurzgeschichten und vier Romanen steht als solcher der berühmte Satz «Elementar, mein lieber Watson» und in etwa einem Viertel der Geschichten ist auch gar kein Verbrechen begangen worden.

Holmes ist ja ein eher arroganter Charakter, aber wenn er sich sicher ist, ist es nun mal «elementar». Auch transatlantische Arabellionisten sind sich sicher. Sind ihre Schlussfolgerungen aus den Geschehnissen wirklich so «elementar»?

Der Konvoi machte sich aus dem von der syrischen Regierung kontrollierten westlichen Teil Aleppos auf den Weg in die von Regierungsgegnern kontrollierte Kleinstadt Urum al-Kubrah. Der Rote Halbmond unterhält dort eine aus einem Lagerhaus bestehende Nebenzweigstelle unter der Kontrolle von Omar Barakat (Abu Suleiman). Von dort aus sollten 78’000 Menschen mit Nahrung, Wasser und Medikamenten versorgt werden. Es handelte sich um eine Syrien-interne und auch nicht unübliche Lieferung. Die Konfliktparteien sollen über die Fahrzeugkolonne informiert gewesen sein. Die Fahrzeuge waren verschiedentlich über Aufkleber, bedruckte Abdeckungen, Fahnen und/oder bedruckte Verpackungen von jeweils dem Roten Halbmond, UNICEF, dem Welternährungs-Programm oder der Weltgesundheits-Organisation als humanitärer Transport erkennbar. Bewaffnete Schutzfahrzeuge gab es keine. Der Verband wurde nur von einem weissen, mit deutlichen Logos versehenen Allradfahrzeug des Roten Halbmonds begleitet.

Nach Angaben der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften wurden etwa 20 Menschen getötet. Mindestens 18 von 31 Lastwagen wären zerstört worden. Helfer, Lastwagenfahrer und Barakat seien angeblich beim Entladen der Hilfsgüter ums Leben gekommen. Während dieser Konvoi zum spektakulären Fall für UNO-Reden wurde, schafften es am gleichen Tag zwei ähnliche Fahrzeugkolonnen problemlos und ohne mediale Fanfaren zu ihren Zielen in Aleppo.

Vom Vorfall selbst gibt es nur das Videomaterial der Regierungsgegner. Keine der Aufnahmen sind schlüssig genug um objektiv ein Urteil fällen zu können. Wir sehen eine Feuerball-Explosion  begleiten von Rufen, dass Gott gross ist. Wir sehen wirre Scheinwerferlichter und hören noch mehr Rufe, dass Gott gross ist. Wir sehen viel Dunkelheit aus der Rufe ertönen, dass Gott gross ist.

Auch vom Resultat der «Bombardierung» gibt es Aufnahmen – diesmal präsentiert von den Weissen Helmen. In einem Video beschreibt ein Weisshelm in zwar gebrochenem aber gut verständlichen Englisch die einstöckige Rothalbmond-Halle als «Lagerhaus der syrischen Christen». Mehrmals erklärt er auch die Hilfsgüter als für «Christen» bestimmt. Reiner Blödsinn. Ein unbeabsichtigter Fehler oder bewusste Manipulation für ein westliches Publikum? Praktisch allerdings, dass ausgerechnet an diesem Tag im Provinznest ein Englischsprachiger vor Ort war. Er schimpft über abgeworfene Kassettenbomben und latscht – trotz der mit dieser Waffe immer verbundenen Gefährdung durch Blindgänger – entspannt und dazu noch im Dunkeln um teilweise noch brennende Wracks herum. Die in den Videos gemachten Aussagen über eine Anzahl recht übler Bomben-Typen und die Dauer des Vorfalls tönen wie ein zweites Pearl Harbor.

Der Ablauf der Bombardierung wird von westlichen Medien und Politikern über Aussagen von Aktivisten und Weisshelmen mehrheitlich wie folgt zusammengezimmert: 19:12 Uhr Lokalzeit sollen vier Hubschrauber der syrischen Luftwaffe acht Fassbomben auf das Rothalbmond-Lagerhaus abgeworfen haben (in der Dunkelheit also?). Danach sollen Flugzeuge der russischen Luftwaffe Streumunition über die Lokalität abgeworfen haben. Die Retter konnten deshalb in dieser Zeit keine Verletzten bergen. In einer anderen Version wird von ungelenkten Luft-Boden-Raketen vom Typ ‹S-5› gesprochen. Ein «Zeuge» zählt 20 «Einsätze». Bei allen Erklärungen ist es bemerkenswert, dass die Kommentatoren fast in Echtzeit wissen, was ihnen in der Dunkelheit auf dem Kopf fällt. Nach Aussagen einiger «Zeugen» soll der Angriff bis zu drei Stunden gedauert haben. Ein Weisshelm mit Namen Ammar al-Salmo erklärte der US-Nichtregierungsorganisation ‹Human Rights Watch›, dass die Feuer so schlimm gewesen wären, dass sie erst um drei Uhr früh mit der Bergung von Verletzten und Toten beginnen konnten.

Die Bilder, welche in der Nacht und später im Tageslicht aufgenommen wurden, zeigen Fahrzeuge in verschiedenen Stadien der Zerstörung. Zwischen beschädigten Lastwagen erkennt man auch anscheinend unbeschädigte. Einschlag-Krater auf der Strasse sind nicht erkennbar. Auf Fotos sieht man allerdings eine Eingrabung im Boden des Lagerhauses. In diesem «Krater» erkennt man umverbrannte Individual-Verbpackungen eines Entlausungsmittels und angekratzte, mit Schlammspritzer verschmutze Kartons mit dem Rothalbmond-Logo. Bei den zerstörten und in einigen Fällen völlig ausgebrannten Lastkraftwagen scheint das Fahrerhaus meist oder immer einigermassen intakt. Was bei einigen Bilden auffällt sind Einschläge im Blech der LKW-Kabinen. Bäume und Leitungsmaste, welche die Strasse säumen, sehen unbeschädigt aus.

Die Bilder der Zerstörung sind dramatisch, dürfen aber als Anzeichen eines Luftangriffs angezweifelt werden. Während des Zweiten Golfkriegs wurden im Februar 1991 sich zurückziehende irakische Truppen durch die USA bombardiert. Man sprach von der «Strasse des Todes». Aufnahmen zeigen die von Bomben direkt getroffenen Fahrzeuge als Masse verstreuter Metallteile – wie zerdrückte Insekten in geschwärzten Einschlagkratern liegend. In weniger direkt getroffen Fahrzeugen sitzen Fahrer hinter dem Steuer in grotesken Posen erstarrt – verkohlte Brandleichen mit grinsenden, schwarzen Schädeln. Solche Bilder gibt es von Urum al-Kubrah anscheinend nicht.

Auch vom im vorderen Teil mit Asche oder Staub bedeckten und leicht beschädigten Dienstauto des getöteten Rothalbmond-Mitarbeiters Barakat gibt es Aufnahmen. Man erkennt einen geöffneten Airbag. Wurde medienwirksam dekoriert? Eine recht saubere, feuerrote Rothalbmond-Jacke hängt nämlich über einer leicht offen stehenden Hintertüre. Bei vielen der Aufnahmen der zerstörten LKWs, dem Eingang zum Lagerhaus und von Barakats Auto fallen immer wieder Beschädigungen auf, die teilweise an Einschusslöcher von Gewehrkugeln erinnern. Elementar?

Ein Fall für zwei

Als Alternative zu klassischen Krimiserien wurde für das deutsche Fernsehen in 1981 die Serie «Ein Fall für zwei» konzipiert. Ein Rechtsanwalt und ein Privatdetektiv arbeiten zusammen, um unschuldige Klienten zu entlasten. Ohne staatliche Vollmacht müssen sie etwas kreativer ermitteln.

Im Zweifel für den Angeklagten. Die Hatz nach Schlagzeilen lässt der Unschuldsvermutung keine Chance – im Strafrecht jedoch erwartet das Prinzip von Ermittlern so zu agieren, dass Beschuldigte nicht vor den Trümmern ihres Lebens stehen, wenn sich ihre Unschuld herausstellt. Für Staaten im Zielfernrohr des Washingtoner Serien-Interventionisten gilt das natürlich nicht. Beispiel Jugoslawien: Zehn Jahre nach seinem Tod und 13 Jahre nachdem Jugoslawien als Staat verschwunden war erklärte das Haager Tribunal im März 2016 den Freispruch von Slobodan Milošević – Ex-Präsident Serbiens und Jugoslawiens. Anschuldigungen zu Kriegsverbrechen während des Bosnienkriegs waren also falsch und die bombige NATO-«Intervention» nicht nur illegal, sondern sinnlos.

Syrien ist kein Gerichtsdrama. Kein dramatisches Kreuzverhör von «Zeugen» also – man kann man höchstens ihre Glaubwürdigkeit hinterfragen und die Aussagen auf Verstrickungen prüfen. Mit dem juristischen «Cui bono? Cui malo?» kann man ausserdem Nutzniesser und Geschädigte herausarbeiten. Forensische Beweisführung über Fotos und Videos aus dubiosen Quellen im «Netz» – das hingegen sollte man den Hobby-Detektiven des Internets überlassen.

Wer war am Tatort? Sogenannte «Rebellen» gäbe es dort genug um einen Luftangriff vorzutäuschen. Am 24. September 2012 erklärten die damals unter dem Etikett ‹Freie Syrische Armee› agierenden Freischärler den Ort Urum al-Kubrah als «befreit». Beherrscht wird die Gegend heute von der Miliz ‹Jaysh al-Mujahideen›, welche auch mit dem syrischen Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida paktiert. Auf einem Drohnenvideo des russischen Verteidigungsministeriums sieht man angeblich ein Rebellen-Fahrzeug mit Granatwerfer den Konvoi in die selbe Richtung überholen. Schattenwurf lässt auf frühen Nachmittag schliessen – Ortung platziert die Aufnahmen am Rande der Ortschaft Khan al-Asal, etwa sieben Kilometer entfernt vom Lagerhaus in Urum al-Kubrah. Eine russische Drohne, die den Waffenstillstand in Aleppo und Umgebung überwachen sollte, filmte einige der LKWs, nachdem sie am Ziel eingetroffen waren. Schattenwurf lässt auf etwa 17 Uhr schliessen – dann schwenkt die Drohne in eine andere Richtung. Lagen Bewaffnete schon auf der Lauer? War das Geschütz bereits in Stellung gebracht?

Für den Zeitpunkt des Angriffs lokalisiert das russische Militär ein unbemanntes Flugzeug der US-geführten Koalition (gegen die Terrormiliz ‹ISIS›). Es sei eine Angriffsdrohne des Typs ‹Predator› gewesen, welche vom türkischen NATO-Stützpunkt İncirlik gestartet und in 3’600 Meter Höhe mit 200 km/h über Urum al-Kubrah gekreist sei. Gemäss dem russischen Militärsprecher habe sich die Drohne noch rund 30 Minuten nach dem berichteten Zeitpunkt des Angriffs über der Gegend bewegt. Was wissen die USA? Flog eine US-Einrichtung, wie das Militär oder der Auslandsgeheimdienst die Drohne? Neben USA und Türkei, welche anderen Staaten dürfen Angriffsdrohnen von İncirlik aus fliegen?

Was sagen die «Zeugen»? Für die britische Zeitung ‹Guardian› sind nicht alle Zeugen glaubwürdig, denn dort steht am 21. September: «Mitglieder des syrischen Roten Halbmonds, welche aus dem Regime-gehaltenen westlichen Aleppo gereist sind um die Lieferung zu machen, waren zu ängstlich mitzuteilen, was sie gesehen hatten, da sie Bestrafung durch syrische Offizielle fürchten.» Diese Zeilen sind doch Blödsinn. Wenn Rothalbmond-Mitarbeiter in einem Begleitauto auch mitgefahren sind, müssen sie nahe dem Ziel umgedreht sein, denn der einzige Offizielle, welchen der Roten Halbmond erwähnt, ist der getötete Barakat. Warum erwähnen und zugleich diskreditieren Journalisten weitere Rothalbmond-Mitglieder?

Barakat hatte in Urum al-Kubrah seine Wurzeln. Alle Seiten schätzten und vertrauten ihm bei Verhandlungen um Hilfslieferungen. Lagen seine Sympathien bei der Opposition? Ein Hinweis dazu findet sich auf seiner 2013 eröffneten Seite im sozialen Netzwerk ‹Facebook›. Er abonnierte dort nur zwei Fernsehsendungen: Katars Nachrichtensender ‹Al-Jazeera› und den in Dubai angesiedelten syrischen Oppositions-Sender ‹Orient News›. Unter den «Gefällt mir»-Angaben fällt die Facebook-Seite einer Oppostions-Gruppe für das ‹Masaken Hanano›-Quartier Aleppos auf. Zwei weitere «Gefällt mir» stechen ins Auge: Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und für Mohamad bin Abdel-Rahman al-‹Arefe, ein saudi-arabischer Religionsgelehrter und Prediger mit Rockstar-Status. Gruppen denen er auf dem Netzwerk beigetreten ist, sind grösstenteils religiöser Natur. Barakat – ein religiöser Mensch also, dem trotz seiner Sympathien ein Angriff der Rebellen unter falscher Flagge angewidert hätte?

Barakats Verwandte scheinen ebenfalls die syrische Regierung abzulehnen. Der Journalist Mike Giglio vom beliebten US-Medienportal ‹BuzzFeed› zitiert Barakats Schwiegersohn: «Das geschieht nun schon seit 2011. Sie [die syrische Regierung] greifen Kliniken, Zivilisten und Schulen an.» Sarah El Deeb von der US-Nachrichtenagentur ‹Associated Press› (AP) zitiert Barakats Bruder Ali, der ihr gegenüber aussagt, dass sein Bruder innerhalb des Lagerhauses von einer Fassbombe getroffen wurde und auf dem Weg ins Krankenhaus starb. Der britischen Nachrichtenagentur ‹Reuters› erklärte Ali hingegen, dass sein Bruder das Ausladen der Hilfsgüter beaufsichtigt habe und in seinem Auto verletzt wurde. 20 «Geschosse» hätten die «Umgebung» getroffen, darunter dasjenige, welches seinen Bruder getötet habe. Guardian zitiert einen ungenannten «Rothalbmond-Freiwilligen», der mit dem Fall «vertraut» sei (also nur Hörensagen?): Die Retter hätten den verletzten Barakat nicht erreichen und [aus dem Auto?] «herauszerren» können, wegen der «intensiven» Bombardierung. Wo war Barakat denn nun, als er schwer verletzt wurde?

AP-Journalisten befragten auch Hussein Badawi, den Weisshelm-Leiter in Urum al-Kubrah, welcher erklärte, dass die Angriffe mit Hilfe von Hubschraubern und «land-basierten Geschossen» statt gefunden hätten [keine Jets also?]. «Da waren Feuer, Märtyrer, verwundete Leute. Wir waren erst mal im Stande vier Überlebende und fünf Leichen herauszuzerren», berichtete Badawi und fuhr fort: «Das Bombardement war andauernd, andauernd. Die Rettungs-Teams waren nicht mal im Stande zu arbeiten, Diejenigen, welche mit Ambulanzen eintrafen, konnten nicht reinfahren.» Das mit den «land-basierten Geschossen» ist nicht die einzige Ungereimtheit in den «Zeugenaussagen». Ab wann sind viele Versionen zu viele Versionen?

Die US-Zeitschrift ‹TIME› befragt Ammar al-Selmo und nennt ihn «Führer» der «lokalen Zweigstelle» der Weissen Helme. (In Wahrheit ist er der Weisshelm-Chef von Aleppo.) Er beschreibt den Angriff als «Höllenkreis». Er habe auf dem Balkon der Zweigstelle Tee getrunken, als die Bombardierung begann. Das Gebäude sei rund einen Kilometer vom Rothalbmond-Lagerhaus entfernt und er konnte die ersten Fassbomben von einem «Regime-Hubschrauber» fallen sehen (also in der Dämmerung nach 19:12 Uhr?) Zehn «Rettungs-Arbeiter» wären daraufhin zu Fuss zum Lagerhaus gegangen. Es wäre wegen «Beschuss» zu gefährlich gewesen Fahrzeuge zu benutzen. Verletzte hätten um Hilfe geschrien und es brannte überall. «Wir rochen den Geruch der Fassbomben», wird Selmo zitiert. Barakat sei dort gewesen und habe «gewunken und um Hilfe gerufen» (im Auto?) – konnte jedoch wegen «Beschuss» nicht erreicht werden. Die Retter hätten sich zurückziehen müssen. Selmo zählte 20 Luftangriffe, «einschliesslich Fassbomben und Raketen – abgefeuert von russischen Jets». Um drei Uhr morgens erst konnten Retter zum Ort des Angriffs zurückkehren, wo Selmo dann seine Videos mit englischsprachigen Kommentar drehte. Er ist es nämlich, der das Rothalbmond-Lagerhaus und die Hilfslieferungen mit «Christen» in Bezug bringt. Selmo ist auch die Quelle für Bilder, welche angeblich die Reste einer russischen Splitterbombe im Boden des Lagerhauses zeigen sollen. Warum war der hochrangige Weisshelm ausgerechnet an diesem Tag in Urum al-Kubrah?

Syriens oppositionelle Gruppen sind nicht unbedingt Freunde der UNO oder des Roten Halbmonds. Immer wieder fallen Beschuldigungen von einer zu grossen «Nähe zum Regime». «Sicherheitsbedenken» bei der Lieferung von Hilfsgütern seien nur vorgeschoben. Aus Protest haben weniger als zwei Wochen vor dem Vorfall syrische Hilfsorganisationen ihre Zusammenarbeit mit der UNO abgebrochen. Syrische Hilfsorganisationen? Nun, auf der Unterschriften-Liste von 73 teilweise obskuren Organisationen findet man auch die Weissen Helme. In einem Brief an OCHA – also der für UNO-Nothilfe verantwortlichen Koordinationsstelle – kündigten diese Gruppen ihre Zusammenarbeit auf. Sie würden ein neues Netzwerk aufbauen – ohne «politischen Einfluss». Geht es den Regierungsgegnern wirklich nur um Unparteilichkeit? Die bewaffnete Opposition möchte endlich einen Proto-Staat vorzeigen können. Das geht schlecht, so lange internationale Hilfe weiterhin mit Damaskus koordiniert wird. Der Vorfall vom 19. September als willkommener Auslöser für Argumente zum Erlangen einer politisch wichtigen Hoheit über Hilfslieferungen? Cui bono?

Ist es nicht seltsam, dass die schlimmen Massaker meist genau dann passieren, wenn sich in Syrien ein wenig Frieden breit macht? Frieden ist ansteckend. Frieden können die Rebellen momentan nicht brauchen. Solange sie Lebensmittel und Hilfe kontrollieren, kontrollieren sie «ihre Bürger». Während einer Waffenruhe fahren UNO- und Rothalbmond-Konvois. Während einer Waffenruhe denken einfache Rebellen-Kämpfer über Rückkehr zu einem normalen Leben nach. Die Waffenruhe wurde von Russland und USA ausgehandelt – wurde jedoch von Rebellen-Führern diskreditiert, da es nur dem «Regime» dienenden würde. «Die US-Regierung stelle die Kooperation mit Russland in Frage», erklärte US-Aussenamtssprecher Kirby zum Vorfall. Cui malo?

Eine Frage hätte ich noch

Im Gegensatz zum üblichen Krimi-Ablauf, bei dem die Identität des Mörders erst am Ende der Handlung verraten wird, erhielt man bei der seit 1968 ausgestrahlten US-amerikanischen Krimiserie «Columbo» meist schon zu Beginn Kenntnis darüber wer der Mörder ist. Es war genauso spannend zu sehen, wie der Inspektor die zur Überführung des Mörders nötigen Indizien beschaffte. Mit dem Satz «eine Frage hätte ich noch» stört der schrullige Columbo in jeder Folge die vor Überlegenheit strotzenden Täter um sie aus der Reserve zu locken.

Vor Überlegenheit strotzen auch der weltweit bombardierende Hegemon und seine Handlanger. Am Tag des Vorfalls trompetete bereits in New York UNO-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien von «Kriegsverbrechen». «Unsere Wut über diesen Angriff ist enorm», schäumte auch eine Sprecherin für Staffan de Mistura – den aristokratischen Zwicker-Träger und UNO-Sondergesandten für Syrien. Ein paar Tage später zog Reuters dann brav die üblichen «ungenannten US-Offiziellen» aus dem medialen Zauber-Zylinder. (Ungenannte Offizielle sagen ja immer das, was die US-Regierung verbreiten, aber nicht offiziell sagen möchte.) Der Angriff sei von zwei russischen Kampfjets des Typs ‹SU-24› ausgeführt worden. Die Maschinen wären nach «Erkenntnissen des US-Geheimdienstes» genau zum Zeitpunkt der Bombardierung über dem Konvoi geflogen – berichteten die Ungenannten.

Boulevardblätter krächzten vom bombardierten «Konvoi der Hoffnung». Das absolut Einzige, was noch nicht klar sei, war nur die Frage ob der Luftangriff von syrischen oder russischen Kriegsverbrechern durchgeführt wurde – ansonsten war der Fall ja gelöst. Politiker des restlichen Werte-Westens harmonierten wie ein Ensemble geschulter Stimmen im Chor mit US-amerikanischen Geschrei: «… eine abscheuliche, eine terroristische Tat», jodelte somit auch der deutsche Werte-Aussenminister Frank-Walter Steinmeier am 20. September in New York – im Vorfeld eines Treffens der ‹Internationalen Syrien-Unterstützer-Gruppe› (ISSG). (Wo waren eigentlich am 19. die in Syrien gegen geltendes Völkerrecht agierenden sechs deutschen Luftwaffen-Aufklärungsflugzeuge vom Typ ‹Tornado›?) Leise und diskret änderte derweil an diesem Tag die UNO ihre Wortwahl. Sie sprechen nun allgemein von einem «Angriff» und nicht mehr von einem «Luftangriff». «Wir sind nicht in der Lage festzustellen, ob es sich tatsächlich um einen Luftangriff gehandelt hat», zitiert die Qualitätspresse den UNO-Sprecher in Nonpareille Garamond auf Seite 56 – also gleich unter den Todesanzeigen.

Ohne den Vorfall in Urum al-Kubrah, wäre bei ISSG wohl etwas anderes ganz oben auf die Agenda gekommen. Am Wochenende zuvor waren nämlich bei einem US-geführten Luftangriff auf militärische Stellungen der syrischen Regierung 62 ihrer Soldaten getötet und über 100 verletzt worden. Die bombardierten Einrichtungen überwachten den Flughafen und schützten einen Teil der Stadt Deir ez-Zor und damit 300’000 Zivilisten vor Angriffen und/oder Aushungern durch ISIS. Russland war schockiert, denn kurz zuvor hatte man sich mit den USA auf einen Modus für eine Feuerpause verständigt. Die USA und drei weitere staatliche Bomben-Partner entschuldigten sich kurz und bündig für den Vorfall. In vier Luft-Einsätzen die von ISIS eingekreisten syrischen Truppen töten und zugleich russische Anrufe ignorieren, wäre an diesem Tag einfach nur ein «Fehler» gewesen. Eine Frage hätte ich noch: Wie können die USA so sicher sein, wer in Urum al-Kubrah bombardiert hat, wenn sie zugleich in Deir ez-Zor nicht einmal merken, dass sie gerade der gefürchteten Terrormiliz den Weg frei bomben?

Tote schlafen fest

«Ich war scharf rasiert, sauber und nüchtern – egal nun, ob’s einer merkte.» Philip Marlowe – die Romanfigur von Raymond Chandler – ist sein eigener Chronist. Dieser Privatdetektiv ist ein unbestechlicher und manchmal sentimentaler Einzelgänger in einer Welt ohne Moral und Grundsätze.

Im Krieg sterben Moral und Grundsätze gleich am Anfang. Dass der syrische Staat religiös motivierte Islamisten als Feinde hat, hilft da auch nicht weiter. Der Krieg ist nämlich eine strategische Handlung, bei der man lügen darf, um sein Ziel zu erreichen. So sehen es jedenfalls muslimische Religionsgelehrte.

Urum al-Kubrah wäre ja nicht der erste Ort, wo ein Luftangriff eventuell nur vorgetäuscht wurde. Am 5. Mai 2016 – zur gleichen Zeit als eine Waffenruhe ausgeweitet werden sollte – teilten «Aktivisten» mit, dass mindestens 28 Menschen darunter sieben Kinder bei einem «Luftangriff» auf ein Flüchtlingslager im Ort Sarmada umgekommen wären. Die syrische Regierung lehnte alle Beschuldigungen ab – UNOs O’Brien sprach von «Kriegsverbrechen». Tönt bekannt?

Wer den Opfern «zu Hilfe eilte» und auch gleich zum Beweisführer wurde, waren auch hier wieder die Weissen Helme. Auf einem ihrer Videos sieht man den blauen Himmel – ohne Flugzeug. Dann hört man eine Art Düsentriebwerk-Geräusch. Mit mehren Rufen, dass Gott gross ist, rennt der Kameramann dann keuchend Richtung «Einschlagort», den er aber nie erreicht. Im Hintergrund sieht man einen Weisshelm der – trotz angeblichem Bombenangriff – entspannt sein Feuerwehrauto fotografiert. Andere Aufnahmen zeigen ausgebrannte Zelte – die Metall-Rahmen noch aufrecht. Gemäss einem oppositionellen «Hilfswerk-Offiziellen» seien 50 Zelte und eine «Schule» zerstört worden. Auf Videos und Fotos erkennt man unbeschädigte gleich neben zerstörten Zelten. Es gibt verwackelte Aufnahmen von ein paar Leichen und Teilen menschlicher Körper – Aufnahmen, die man allerdings im Kriegsland leicht machen kann.

Bomben müssen nicht vom Himmel fallen. Als Beispiel soll ein gut dokumentierter Vorfall in einem anderen Flüchtlingslager dienen: Im Februar 2014 gab es 27 Tote und über 60 Verletzte durch eine Bombe in einem Auto, welche im Februar 2014 im Lager Bab al-Salameh hoch ging. Zu beiden Vorfällen – Sarmada und Urum al-Kubrah – hat die im Land aktive US-Luftwaffe bisher keine Beweise aus Resultaten ihrer angeblich so umfangreichen Luftraumüberwachung auf den Tisch legen können. Bilder der Zerstörung sind noch lange kein Hinweis auf einen «Luftangriff» und Beschuldigungen von einer Kriegspartei gegen die andere machen noch lange keine vertrauenswürdigen «Zeugenaussagen».

Der Ort, wo der «Konvoi der Hoffnung» starb – ist zwar ein Nest von unter 6’000 Seelen, aber bei weitem nicht so unbekannt. Urum al-Kubrah ist in vieler Hinsicht das Mekka des Massaker-Marketing. Nach den üblichen monatlichen Meldungen über «Regime-Luftangriffe» – am 26. August 2013 dann der Hammer: «Brandbomben auf eine Schule». Im Auftrag einer syrien-oppositionellen Nichtregierungsorganisation bereisen Dr. Saleyha Ahsan und ihre Kollegin Dr. Rola Hallem Syriens Rebellen-Gebiet, um «Krankenhäuser» zu besuchen. Es entstanden aufwühlende Aufnahmen von zwei preisgekrönten britischen Fernsehjournalisten welche die Ärztinnen begleitet hatten. Nach Ausstrahlung im August und September auf dem britischen Staatssender ‹BBC› zeigte im November 2013 auch der deutsche Sender ‹ARD› die Bilder unter dem Titel «Syriens Kinder». Die dramatischen Szenen entstanden nur deshalb, weil ausgerechnet am Tag als die BBC-Kameras im Ort waren plötzlich Dutzende von Brandopfern eingeliefert wurden. Eine Brandbombe (es wird sogar von der Brandwaffe Napalm gesprochen) hätte angeblich die Schule des Ortes getroffen. Seither beschäftigen sich jedoch mehrere Dokumentationen und Analysen mit diesen Aufnahmen. Es gibt nämlich genügend Verdachtsmomente, welche die Frage aufkommen lassen, ob nicht vieles, wenn nicht sogar alles inszeniert wurde.

Mit einer Meldung über einen durch «Regime-Bomben» zum «Märtyrer» gewordenen Weisshelm wird das Massaker-Marketing von Urum al-Kubrah im Sommer 2016 wieder lebendiger. Diesmal sind die Russen das Ziel der Beschuldigungen. Zum Beispiel soll ein russischer Luftangriff am 22. Juni Phosphorbomben (also Brandbomben) abgeworfen haben, am 11. August eine medizinische Einrichtung und am Tag danach einen öffentlichen Markt zerstört haben. Die Massaker-Litanei nimmt dann für einige Tage wieder die syrische Luftwaffe ins Visier, kommt aber am 20. August wieder auf Russland zurück. Diesmal sollen es «Streubomben» gewesen sein.

Die Mausefalle

Im alten Landhaus Monkswell Manor hält sich ein Mörder auf. Gegen Ende findet sich eine Person allein mit dem Mörder in einem Raum wieder und die Überraschung ist gross, wenn man erfährt wer es ist. «Die Mausefalle» ist ein Krimi-Theaterstück von Agatha Christie, welches seit 1952 täglich in London aufgeführt wird. Es ist damit das am längsten ununterbrochen aufgeführte Bühnenwerk der Welt.

Auch der Syrien-Krieg dauert schon zu lange und so manches wirkt wie ein Theater. Kurz nach dem Vorfall in Urum al-Kubrah wird ein Foto veröffentlich, welches einen «Demonstranten» im Rebellen-gehaltenen Teil von Aleppo in einer Rothalbmond-Uniform zeigt. Er war jedoch nur ein kostümierter «Aktivist».

Viel schlimmer ist das widerliche Massaker-Marketing von Einheiten der Regierungsgegner, die gezielt Zivilisten töten und diese anschliessend als Opfer der Regierung ausgeben. Das ist keine Verschwörungstheorie, denn einige Vorfälle wurden inzwischen objektiv dokumentiert.

In Urum al-Kubrah kommt das Propaganda-Schema der emotionalisierenden Polarisierung von Feind- und Selbstbild voll zum Zug. Propaganda mit hehren Kriegszielen verbindet man nämlich am Besten mit jener über die Grausamkeiten des Gegners. Die medial verstärkte Propaganda der syrischen Regierungsgegner braucht das Massaker durch «Regime-Truppen» mit «unerlaubten Waffen», denn ihr angeblich hehres Ziel der «Demokratisierung» wurde längst angeschwärzt mit den vielen schwarzen Dschihad-Fahnen.

Besonders oft verwendet wird das starre Kriegspropaganda-Gegensatzpaar: erlaubte Waffen/unerlaubte Waffen. Es bleibt ein heuchlerisches Falschspiel, denn «unerlaubt» sind Waffen doch nur so lange und nur für den, der sie noch nicht besitzt. Es nervt – dieses scheinheilige Propaganda-Geschrei der Rebellen über Giftkampfstoffe, Fassbomben, Streubomben, Splitterbomben und Brandbomben. Es nervt so sehr, wie die Erinnerung an die Hysterie des Westens über angebliche «Massenvernichtungswaffen» im Vorfeld des Irak-Kriegs. Es nervt, denn die Rebellen verstecken sich mit ihren «erlaubten» Waffen in Wohngebieten hinter Zivilisten und die USA versteckten ihre brutalen Angriffskriege, die sie «Intervention» nennen, hinter primitiven Lügen. Wann hört dieses Theater endlich auf?

Der Fall Urum al-Kubrah ist noch ungelöst. So viel kann man aber schon jetzt sagen: Die Indizien sind schwach und die Zeugen unglaubwürdig. Die Motive für eine massive Lüge sind hingegen schwerwiegend.

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