Heuchelei, Subversion und dreckige Propagandatricks zeichnen die Strategie des Westens im Nahen Osten aus. Das geht aus den Unterlagen des britischen Außenministeriums zu den Aufständen in Afghanistan der 1980er Jahre hervor. Das britische Nationalarchiv in London hat die Geheimdokumente jüngst veröffentlicht.
Ursprünglich erschienen auf de.sputniknews.com
Als die Sowjetunion im Dezember 1979 in Afghanistan intervenieren musste, um zu verhindern, dass sich das Land in ein Eldorado für fundamentalistische Terroristen verwandelt, warfen westliche Länder Moskau unisono Aggression und Landraub vor: Sanktionen wurden verhängt, die USA und einige ihrer Vasallenstaaten boykottierten die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Die Gegner des damaligen afghanischen Präsidenten Babrak Karmal – die vom Westen sogenannte „gemäßigte“ Opposition – erhielt Geld und Waffen, um „die Sowjets bis zum letzten Afghanen ausbluten zu lassen“, wie der Korrespondent der Washington Post und langjähriger Afghanistan-Beobachter, Selig Harrison, es formulierte. Washington verunglimpfte die objektive Berichterstattung Harrisons zu Afghanistan als moskautreue Propaganda.
Kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor? Das Vorgehen des Westens in Syrien sieht sehr nach einer Wiederholung jener Afghanistan-Taktik aus, deren verheerende Folgen inzwischen alle sehen können. Was sagen nun die britischen Afghanistan-Papers darüber aus, wie der Westen mit seiner globalen Führungsrolle umgeht?
Die Geheimdokumente zeigen: Britische Diplomaten verstanden sehr gut, dass das Afghanistan der siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dringend soziale Reformen brauchte. Untereinander waren sie sich einig, dass Karmal – wäre da nicht seine Verbindung zu Moskau – von den meisten Afghanen als Oberhaupt akzeptiert worden wäre. Karmal war kein Kommunist: Vor der Afghanischen Revolution wurde er zweimal gewählt und engagierte sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen einfacher Menschen. Das Problem bestand darin, dass er weder für Pakistan, Saudi-Arabien und einige andere Akteure in der Region noch für den Westen akzeptabel war.
Westliche Waffen für Fundamentalisten
Die freigegebenen Unterlagen des britischen Ministeriums offenbaren, dass westliche Hilfen, die gleichmäßig unter den afghanischen Oppositionsgruppen aufgeteilt werden sollten, von der Regierung Pakistans angeeignet und an das pakistanische Militär sowie die Fundamentalisten innerhalb Afghanistans umgelenkt wurden.
In einer Depesche des britischen Botschafters in Kabul an das Außenministerium vom 11. Januar 1984 heißt es: „Fundamentalistische Gruppen haben keinen Rückhalt bei den afghanischen Stämmen und sind nur wenig populär. Ihre Position haben sie nur erreicht, weil der Großteil der finanziellen Unterstützung vonseiten islamischer Länder an die Widerstandsbewegung in ihre Richtung umgeleitet worden ist. Ich denke, es ist allgemein akzeptiert, dass viele der Mitglieder fundamentalistischer Gruppen in Peschawar sich diesen nicht aus ideologischen Gründen angeschlossen haben, sondern weil sie Zugang zu Geld und Waffen bieten. Die meisten ihrer Unterstützer hätten nahezu keine Bedenken, einer anderen Gruppe oder größeren Einheit ihre Loyalität zu erweisen, sobald dort größere Ausbeute in Aussicht gestellt wird.“
Die britischen Diplomaten brachten ihren Unmut über Pakistans Verhalten zum Ausdruck – meist jedoch in Gesprächen miteinander, nicht öffentlich. Derweil waren die Fundamentalisten willkommen, sich im Vereinten Königreich niederzulassen. Auf die Anfrage des Islamisten Rabbani, Anführers der fundamentalistischen afghanischen Partei Dschamiat-i Islāmi, einen Sitz in London zu eröffnen, hieß es vonseiten des britischen Außenministeriums, dass keine formelle Genehmigung nötig sei, solange keine Absicht bestehe, das Büro zur Planung oder Durchführung terroristischer Aktivitäten zu nutzen. Rabbani schwor hoch und heilig, dass die militärischen Operationen seiner Organisation auf Afghanistan beschränkt bleiben. Wo die Planung dieser Aktivitäten stattfindet, präzisierte er nicht. Und niemand hakte nach.
Fisch-Affäre stinkt zum Himmel
Ein weiterer „Widerstands-Anführer“ und Herausgeber der dubiösen Wochenschrift „Afghanischen Stimme“, Dr. Mohammad Akbar Helmandi, war eine Spur dreister. Laut dem Bericht eines Mitarbeiters des britischen Außenministeriums spazierte dieser am Freitag, den 3. Februar 1984 ins Ministeriumsgebäude und fragte, „ob ich ihn mit jemandem vom Secret Service bekannt machen kann, der sich an einer Operation zur Vernichtung einer sowjetisch-afghanischen Gaspipeline über den Amudarja-Fluss beteiligen würde“, so der Beamte. „Ich habe seine Anfrage zur Kenntnis genommen, aber keine Schritte unternommen, um Herrn Helmandi in dieser Angelegenheit zu helfen. Er schien enttäuscht zu sein.“
Statt Herrn Helmandi wegen Verdachts auf Anstiftung zu einem Terroranschlag festzunehmen oder ihn wenigstens ausdrücklich zurechtzuweisen, wurden ihm Kontakte zum britischen Innenministerium und dem British Council vermittelt, angeblich um seiner Nichte damit beim Etablieren in Großbritannien zu helfen. Durch diese derart sanfte Behandlung ermutigt, bombardierte Helmandi die damalige Premierministerin Margaret Thatcher mit Anfragen, seinem Fischunternehmen eine Million Pfund bereitzustellen, damit er afghanische Flüchtlinge an der Grenze zu Pakistan versorgen könne. Diese seien nicht in der Lage das lokale Essen zu verdauen, würden Hunger leiden und deshalb dringend frischen Fisch aus dem Persischen Golf brauchen, schrieb Helmandi der früheren britischen Premierministerin. Fast glaubten ihm die Briten auch, konsultierten jedoch den leitenden Gesundheits- und Ernährungsberater des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge zur Lage der afghanischen Migranten. Und dieser nahm kein Blatt vor den Mund: „Diese Behauptungen sind kompletter Nonsens. Die Grundnahrung der Afghanen besteht aus Schaf- und Ziegenfleisch, Weizen, Zucker und Tee. Auch wenn Fisch verfügbar wäre, würden die Flüchtlinge ihn nicht wollen. Insofern können sie die Klagen über Unterernährung getrost zurückweisen“, sagte er auf die Regierungsanfrage.
War der Fall damit etwa erledigt? Keineswegs! Das britische Außenministerium bedankte sich bei Dr. Helmandi, ein wenig heuchlerisch, für seine Bemühungen bei der Linderung der Flüchtlingsnot und wünschte ihm Glück, bei der Anwerbung von finanziellen Mitteln aus anderen Quellen.
Das Ministerium verteidigte sich damit, dass Großbritannien zwischen Januar 1980 und März 1984 rund 20 Millionen Pfund (etwa 23,5 Millionen Euro) an Hilfsleistungen für afghanische Flüchtlinge ausgegeben hatte. Der „komplette Nonsens“, den Helmandi der britischen Premierministerin in seinem Schreiben feilgeboten hatte, hinderte das Außenministerium nicht daran, ihm ein Treffen vorzuschlagen, weil „Herr Helmandi nützliche Informationen zu den gemäßigten Gruppen haben könnte.“ Gemeint waren wohl die Gemäßigten, die eine Gaspipeline in die Luft jagen wollten.
Was das britische Außenministerium übrigens verschwieg, war die Information, dass die Sowjetunion Afghanistan jährlich mit rund 280 Millionen US-Dollar Wirtschaftshilfen unterstützte – während die USA 50 Millionen Dollar für geheime Waffenlieferungen an Mudschahedin, islamistische Terror-Truppen, ausgaben. Inzwischen zeigen die freigegebenen Unterlagen die Wut auf die Journalisten, die die verdeckten Waffenlieferungen des Westens an die Aufständischen aufdeckten – zur großen Blamage Washingtons und Islamabads, die das vehement abstritten.
Drogenabhängige und „reißerische Propaganda“
Indes waren fadenscheinige Falschinformationen nicht nur eine Sache Helmandis. Eine andere schillernde Persönlichkeit war ein gewisser Herr Farani. Dieser verbrachte drei Jahre in Deutschland, bevor er nach Großbritannien zog, behauptete aber über aktuelle Informationen zur Lage in Afghanistan zu verfügen. Ein Mitarbeiter des britischen Außenministeriums im Süd-Asien-Ressort erläuterte, dass er sich keine Mühe machte, „die weitschweifenden Anekdoten aufzuzeichnen, mit denen Farani seinen Bericht spickte“, wovon einige gewirkt hätten, als seien sie schlicht erfunden worden, schrieb der Beamte in seinem Bericht. Farani behauptete, er verfüge über Details eines angeblich sowjetischen Einsatzes von Chemiewaffen in Afghanistan. Diese Details habe er von zwei Soldaten der Sowjetarmee erhalten, die angeblich zu den Mudschahedin überliefen, nachdem sie drogenabhängig geworden waren. Farani produzierte Unmengen an reißerischer Anti-Sowjet- und Anti-Karmal-Propaganda, die seinen Angaben nach von einer „Innerafghanischen Islamischen Front“ unter der Führung seines Neffen Mahmoud Farani stammten – was irgendwie an „unabhängige“ syrische Beobachter erinnert, die von ihrem Zuhause in Großbritannien aus die Lage in Syrien kommentieren.
Eine andere Informationsquelle britischer Diplomaten über die afghanische Opposition waren ihre zahlreichen „Vertreter“ in anderen Ländern. Eine Depesche der britischen Botschaft in Malaysia informierte das Außenministerium darüber, „dass der Botschafter einige der Oppositionsführer regelmäßig trifft, und die wichtigsten Parteichefs zur Geburtstagsparty der Queen eingeladen wurden (zwei kamen).“ Einer der prominentesten Mudschahedin-Führer in Kuala Lumpur, Mangal Hussein, schickte Berichte über die Aktivitäten afghanischer Aufständischer direkt an die BBC – obwohl die Botschaft „ihn nicht als absolut zuverlässig einstufen würde.“
Aber diese „Unzuverlässigkeit“ schien bei den westlichen Regierungen nicht ins Gewicht zu fallen. Weitaus gefährlicher waren für sie laut ihren eigenen Angaben die Ansichten solcher lang bekannten Afghanistan-Experten wie des Korrespondenten Selig Harrison. In seinen Berichten über die Bemühungen der Uno bei der Vermittlung einer friedlichen Lösung des Konflikts betonte der Journalist, dass Washington – trotz Moskaus ausdrücklicher Bereitschaft zu einer solchen Lösung – die Arbeit des UN-Sondergesandten Diego Cordovez nicht interessierte und absichtlich unterminierte.
Eine Depesche der britischen Botschaft in Washington vom 15. Februar 1985 konstatiert: „Jedes Mal, wenn Harrison mit diesem Thema aufkam, fühlte sich das US-Außenministerium verpflichtet, seinen innigsten Wunsch nach einer friedlichen Beilegung des Konflikts durch UN-Vermittlung noch einmal zu betonen – was an sich bereits Harrisons Glaubwürdigkeit bestätigt. Harrison ist dafür bekannt, mit den Verhandlungen und mit Diego Cordovez vertraut zu sein. Dass er die Ansichten von Cordovez stets wiedergibt, verstärkt das Ärgernis zum Teil.“
Die britischen Diplomaten waren in gleichem Maße von den selbsternannten „Anführern des Afghanischen Widerstands“ verärgert, die sie bezichtigten, ihre eigenen Geschäftsinteressen zu verfolgen. Was die Briten jedoch dazu anregte, sich mit solchen Gestalten wie Helmandi und Farani abzugeben, war deren Propaganda-Wert.
Die Details des westlichen Betrugs hinsichtlich Afghanistans kommen nun nach 30 Jahren ans Tageslicht. Und damit steht die Frage im Raum: Wie fair ist der Umgang des Westens mit Syrien? Das erfahren wir wohl erst in 30 Jahren, wenn die Syrien-Papiere freigegeben werden.