Ein paar Gedanken zur russischen Strategie in Syrien

Donate

SyrienObwohl ein militärischer Laie, habe ich aus den verschiedensten Quellen einiges über die Strategie des russischen Einsatzes in Syrien erfahren, was auch einige politische Schlussfolgerungen zulässt. Ursprunglich erschienen auf NeoPresse.com

Zuerst einmal besteht der russische Einsatz nicht nur aus Flugzeugen, die Bomben werfen, sondern es gibt auch Waffenlieferungen, Ausbildung, und Beratung.  Und diese Ausbildung und Beratung hat wichtige Ergebnisse gezeigt, die Strategie und Taktik der syrischen Armee ist heute deutlich anders als am Anfang des Einsatzes.

Übergang zu frontnahen Einsätzen

Die Lufteinsätze waren anfangs vor allem darauf gerichtet, die Infrastruktur der Jihadisten zu zerstören: Waffenlager, Hauptquartiere, Ausbildungslager, Kasernen, gut befestigte Stellungen.  Die USA hatte dies bewusst nicht getan, die syrische Luftwaffe hatte nicht die technische Möglichkeit, dies genau genug zu tun.

Genauigkeit ist hierbei wichtig: Die russischen Flugzeuge verfügen hier über eine moderne automatische Abwurfanlage, die kurzzeitig die Steuerung übernimmt und billige alte Fliegerbomben hoch genau (aus 5000 m mit etwa 4 m Zielgenauigkeit) abwerfen kann.  Wenn der Aufklärung also die genaue Lage eines Ziels bekannt ist, kann dieses Ziel auch vernichtet werden.  Und dies selbst in Städten ohne dass die Kollateralschäden allzu groß wären. Das hat zur Folge, dass die Russen keinerlei Flächenbombardements in Syrien brauchen, um konkrete Ziele zu vernichten, weswegen Behauptungen, die Russen würden Flächenbombardements durchführen, Propaganda sind. Es bedeutet auch, dass die Russen das mit billigen alten Bomben tun können, wodurch ihr Einsatz insgesamt so billig ist, dass er aus dem normalen Verteidigungsbudget bezahlt werden kann – Hoffnungen darauf, dass Russland die Kosten irgendwann nicht mehr tragen könnte, sind vergeblich.

Trotzdem ist natürlich klar, dass die festen, der Aufklärung bekannten Objekte im Hinterland, die man so vernichten kann, irgendwann im wesentlichen zerstört sind, und nur wenn die Aufklärung neue Ziele ermittelt, wieder etwas vernichtet werden kann.  Was als Daueraufgabe bestehen bleibt, ist die Vernichtung von Transporten – Nachschub, Verstärkungen, und zunehmend auch die Öltanker, mit denen Daesh sich finanziert.

Die Hauptaufgabe der Lufteinsätze in Syrien verlagerte sich jedoch auf den frontnahen Einsatz zur Unterstützung der Angriffe, was augenblicklich den Großteil der Einsätze ausmacht. Wenn behauptet wird, die Russen würden Städte wie Aleppo heftig bombardieren, zu einer Zeit wo innerhalb der Stadt gar keine größeren Kampfhandlungen stattfinden, ist das daher wenig plausibel.

Über die Dörfer

Wichtig ist auch eine Änderung der Strategie generell. Während vor dem russischen Einsatz die syrische Armee vor allem auch in Städten angegriffen hat, und das Umland eher vernachlässigte,  hat sich dies geradezu umgekehrt.  Das Hauptfeld der Angriffe ist das Land.  Ich denke, ein Hauptgrund dafür ist, dass die Luftwaffe auf dem Land freier agieren kann – die Gefahr von Kollateralschäden ist deutlich geringer.

Besonders klar wurde das in der Taktik, die im Bergland von Latakia angewendet wurde.  Zuerst werden die Bergspitzen erobert.  Dabei sind überhaupt keine Kollateralschäden zu befürchten.  Von der einmal eroberten Höhe kann das Umland kontrolliert werden.  Der eigene Nachschub kann vom Gegner mangels Luftaufklärung nicht beobachtet und gestört werden, der gegnerische jedoch sehr wohl. Und damit kann man, langsam aber sicher, Berg für Berg erobern.  Die Eroberung der Dörfer erfolgt dann eher am Schluss – wenn die umliegenden Höhen schon erobert sind.

Ein ähnliches „Marschieren über die Dörfer“ ist auch an fast allen anderen Fronten zu beobachten.  Nachdem der Flughafen Kuweiris aus der Belagerung befreit worden war, kämpfte man langsam aber systematisch die Umgebung frei. Aber man zielte weniger auf die größeren Städte – weder Deir Hafer noch Al Bab selbst wurden angegriffen – man drang lediglich über die Dörfer in ihre Umgebung vor.  Im Süden Aleppos ging es auch über die Dörfer, und auch aktuell im Norden Aleppos, während in Aleppo selbst kaum gekämpft wurde.  Die ersten, die jetzt angefangen haben, in Aleppo zu kämpfen, sind die Kurden.  Weder Palmyra noch Qaratein werden angegriffen, obwohl in ihrer Umgebung gekämpft wird.

Sicher muss man irgendwann auch die Städte angreifen, wenn man den Krieg gewinnen will. Und eine größere Stadt in Syrien wurde auch schon angegriffen und erobert – Sheikh Miskeen. Nur scheint es doch die russische Strategie zu sein, damit eher zu warten, und statt dessen die Umgebung zu erobern.  Für den Grund dafür halte ich, dass dies am ehesten geeignet ist, den Gegner auszubluten.  Der muss ein recht großes Territorium verteidigen, er weiß nicht, welches Dorf als nächstes angegriffen wird, während er in einer Stadt viel eher starke Kräfte konzentrieren kann.  Daher haben die Angreifer eines Dorfes dann auch leicht die zahlenmäßige Überlegenheit – auch weil sie ihre Truppen leichter und gefahrloser verlegen können.  Es wurde auch bemerkt, dass dem Feind immer eine Möglichkeit zur Flucht gelassen wird, statt den Gegner vollständig zu umzingeln.  Man motiviert ihn so zur Flucht.  Der Gegner auf der Flucht ist natürlich immer auch eine leichte Beute, besonders wenn man Luftüberlegenheit hat und der Gegner auf dem flachen Land wenig Möglichkeiten zum Verstecken hat.

Nicht Assads Truppen sind zunehmend ausgedünnt

Wir sehen hier also faktisch die umgekehrte Strategie im Vergleich zu Afghanistan, wo die Taliban über die Dörfer gehen und die Regierung sowie die NATO die Städte halten.  Und hier sehe ich einen Punkt, wo ich glaube, aus der verwendeten Strategie – und daraus, dass sie offenbar erfolgreich ist – etwas über die realen Kräfteverhältnisse schließen zu können. Denn das „Wandern über die Dörfer“, das damit verbundene Zulassen sehr langer Frontlinien, kann nur funktionieren, wenn bestimmte Voraussetzungen dazu da sind.  Man braucht insbesondere genügend Leute, die die eroberten Dörfer dann auch verteidigen können.  Das Ausdünnen der Kräfte durch lange Frontlinien bringt nur dann einen Vorteil, wenn man selbst mehr Leute hat, so dass der Gegner dadurch ein größeres Problem hat als man selbst.

Das scheint mir interessant, da in den Medien viel darüber spekuliert wurde, dass die syrische Armee kurz vor dem Zusammenbruch und überdehnt wäre.  In dem Fall wäre die gewählte Strategie jedoch kontraproduktiv und könnte gar nicht funktionieren.  Womit nicht behauptet werden soll, dass die syrische Seite keine Probleme hätte, was die Zahl der Soldaten angeht. Es gibt jedoch einige Hinweise darauf, dass sich in dieser Frage seit dem Beginn des russischen Einsatzes in Syrien einiges für die syrische Armee zum Positiven gewendet hat, ganz im Gegensatz zur anderen Seite, die zunehmend an Mangel an Unterstützern leide. Was Propaganda sein kann, aber auch durchaus plausibel ist, weil es eigentlich immer die Seite der Gewinner ist, die leichter Freiwillige findet.

Zum Schluss sei noch erwähnt, worum die Russen sich in Syrien noch alles kümmern: Es gibt gemeinsame Flugoperationen russischer und syrischer Flugzeuge, was einen recht hohen Stand der Zusammenarbeit und der Koordination zeigt.  Die Artillerie würde von den Syrern inzwischen ganz anders eingesetzt, statt einzelner Geschütze, die an verschiedenen Abschnitten feuern, würde sie nun konzentriert und zielgerichtet zur Angriffsvorbereitung eingesetzt.  Die Lieferung amerikanischer Raketen zur Panzerabwehr wurde beantwortet mit der Lieferung einiger T 90 Panzer, die solche Raketen abwehren können.  Die Infrastruktur zur Reparatur von Waffen und Technik wurde auf Vordermann gebracht.  Es gab einen Filmbericht über die Ausbildung von Scharfschützen.  Mit anderen Worten, man kümmert sich um so ziemlich alles, wo man Möglichkeiten zur Verbesserung sieht.

Donate

SouthFront

Subscribe
Notify of
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x
()
x