Die russischen Optionen gegen einen US-Angriff auf Syrien

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© Verteidigungsministerium der Russischen Föderation / RIA Novosti

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Dieser Artikel erschien zuerst auf The Vineyard Saker – Deutsche Version

vom Saker

Russian options against a US attack on Syria

Die Spannungen zwischen Russland und den USA haben ein nie zuvor dagewesenes Niveau erreicht. Ich stimme den Teilnehmern dieser CrossTalk-Sendung völlig zu – die Lage ist schlimmer und gefährlicher als während der Kuba-Krise. Beide Seiten folgen jetzt dem sogenannten „Plan B“, der, einfach gesagt, im besten Falle für keine Verhandlungen steht, und im schlimmsten für einen Krieg zwischen Russland und den USA.

Der entscheidende Punkt, um die russische Haltung in diesem und anderen jüngeren Konflikten mit den USA zu verstehen, ist, dass Russland immer noch weit schwächer ist als die USA und daher keinen Krieg will. Das heißt allerdings nicht, dass es sich nicht aktiv auf einen Krieg vorbereitet. Tatsächlich tut es das, und sehr aktiv. Das alles bedeutet, sollte ein Konflikt eintreten, wird Russland, so gut es kann, versuchen, ihn so begrenzt wie möglich zu halten.

Theoretisch gibt es ungefähr folgende mögliche Ebenen der Konfrontation:

  1. Ein militärisches Patt wie in Berlin 1961. Man könnte argumentieren, dass das bereits jetzt stattfindet, wenn auch auf größere Entfernung und weniger sichtbar.
  2. Ein einzelner militärischer Zwischenfall, etwa wie das, was jüngst passierte, als die Türkei eine russische SU-24 abschoss und Russland sich entschied, nicht zurückzuschlagen.
  3. Eine Reihe örtlicher Zusammenstöße, ähnlich dem, was gerade zwischen Indien und Pakistan geschieht.
  4. Ein Konflikt, der auf den syrischen Kriegsschauplatz begrenzt ist (sagen wir wie der Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien um die Malwinen)
  5. Eine regionale oder globale militärische Konfrontation zwischen den USA und Russland.
  6. Ein ausgewachsener thermonuklearer Krieg zwischen den USA und Russland

Während meiner Studienjahre in militärischer Strategie habe ich an vielen Übungen zur Eskalation und Deeskalation teilgenommen, und ich kann bezeugen, dass es war sehr leicht ist, eskalierende Szenarien zu entwerfen, ich aber immer noch kein glaubwürdiges Szenario der Deeskalation gesehen habe. Was möglich ist, ist jedoch die sogenannte „horizontale Eskalation“ oder „asymmetrische Eskalation“, in der eine Seite beschließt, den Einsatz nicht zu erhöhen oder direkt zu eskalieren, sondern stattdessen ein anderes Ziel für den Gegenschlag wählt, nicht notwendigerweise ein wertvolleres, schlicht ein anderes auf der gleichen Ebene der konzeptionellen Bedeutung (in den USA haben Joshua M.Epstein und Spencer D. Bakich die meiste Grundlagenarbeit zu diesem Thema geleistet).

Der Hauptgrund, warum wir erwarten können, dass der Kreml versuchen wird, asymmetrische Optionen zu finden, um auf einen US-Angriff zu erwidern, ist, dass Russland in Syrien den USA/der NATO zumindest quantitativ hoffnungslos unterlegen ist. Die logische Lösung für die Russen besteht darin, ihren qualitativen Vorteil zu nutzen oder „horizontale Ziele“ als mögliche Optionen der Erwiderung zu suchen. Diese Woche ist etwas sehr interessantes und höchst ungewöhnliches geschehen: Generalmajor Igor Konaschenkow, der Leiter der Abteilung Mediendienst und Information des Verteidigungsministeriums der russischen Föderation hat offen eine dieser Optionen erwähnt. Hier ist, was er gesagt hat:

„ Was Kirbys Drohungen über mögliche russische Flugzeugverluste und das Zurückschicken russischer Soldaten nach Russland in Leichensäcken betrifft, würde ich sagen, dass wir genau wissen, wo und wie viele „inoffizielle Spezialisten“ in Syrien und der Provinz Aleppo arbeiten, und wir wissen, dass sie in die operationelle Planung involviert sind und dass sie die Einsätze der Kämpfer überwachen. Man kann natürlich weiter darauf bestehen, sie seien erfolglos damit befasst, zu versuchen, die Terroristen der al-Nusra von den „Oppositions-“kräften zu trennen. Aber wenn jemand versucht, diese Drohungen umzusetzen, ist es keinesfalls gewiss, dass diese Kämpfer die Zeit haben, zur Hölle von dort zu entrinnen.“

Nett, oder? Konaschenkow scheint die „Kämpfer“ zu bedrohen, aber er achtet darauf, zu erwähnen, dass unter diesen Kämpfern eine Menge „inoffizieller Spezialisten“ sind und dass Russland genau weiß, wo sie sind und wie viele von ihnen dort sind. Natürlich hat Obama offiziell erklärt, dass es einige hundert solcher US-Sonderberater in Syrien gibt. Eine gut informierte russische Quelle legt nahe, dass dort bis zu 5 000 ausländische Berater für die Takfiris sind, darunter etwa 4 000 Amerikaner. Ich nehme an, dass die Wahrheit irgendwo zwischen diesen beiden Zahlen liegt.

Die russische Drohung ist also einfach: ihr greift uns an, und wir werden die US-Truppen in Syrien angreifen. Natürlich wird Russland vehement abstreiten, US-Soldaten zum Ziel genommen zu haben, und darauf bestehen, dass sich der Schlag nur gegen Terroristen richtete, aber beide Seiten verstehen, was hier geschieht. Interessanterweise hat die iranische Nachrichtenagentur Fars erst letzte Woche berichtet, dass ein solcher russischer Angriff bereits stattgefunden hat:

„30 israelische und ausländische Nachrichtendienstoffiziere durch Russlands Kalibr-Raketenangriff in Aleppo getötet:

Die russischen Kriegsschiffe feuerten der Kalibr-Raketen auf den Koordinations- und Einsatzraum ausländischer Offiziere in der Region Dar Essa im Westteil von Aleppo beim Sam’am-Berg und töteten dabei 30 israelische und westliche Offiziere“ zitierte der arabischsprachige Dienst der russischen Nachrichtenagentur Sputnik eine Quelle auf dem Schlachtfeld von Aleppo am Mittwoch. Der Einsatzraum lag im westlichen Teil der Provinz Aleppo zwischen dem Gipfel des Sam’an-Berges und alten Höhlen. Die Region reicht tief in eine Bergkette. Mehrere Offiziere aus den USA, der Türkei, Saudi-Arabien, Katar und Großbritannien wurden neben den israelischen Offizieren getötet. Die ausländischen Offiziere, die in dem Einsatzraum in Aleppo umkamen, leiteten die Angriffe der Terroristen in Aleppo und Idlib.”

Ob das wirklich geschehen ist, oder ob die Russen solche Geschichten durchsickern lassen, um anzudeuten, dass das geschehen könnte, es bleibt Tatsache, dass US-Kräfte in Syrien ein offensichtliches Ziel für einen russischen Gegenschlag werden könnten, ob nun per Cruise Missile, Schwerkraftbomben oder einen direkten Kampfeinsatz russischer Spezialkräfte. Die USA haben auch mehrere verdeckte Militäreinrichtungen in Syrien, darunter mindestens ein Flugfeld mit V-22 Osprey Kipprotor-Wandelflugzeugen.

Eine andere interessante Entwicklung in jüngster Zeit war der Bericht auf Fox News, dass die Russen S-300V (auch als „Gladiator anti-Raketen und Luftabwehrsystem“ bekannt) in Syrien einsetzen. Werft einen Blick auf diesen vorzüglichen Artikel für eine detaillierte Diskussion der Fähigkeiten dieses Raketensystems. Ich will es so zusammenfassen, dass die S-300V gegen ballistische Raketen, Cruise Missiles, sehr schwer im Radar zu erkennende („stealth“) Flugzeuge und AWACS-Flugzeuge eingesetzt werden kann. Das ist ein auf Ebene der Armee/des Armeekorps arbeitendes Luftabwehrsystem, das gut im Stande ist, den größten Teil des syrischen Luftraums zu verteidigen, aber auch bis tief in die Türkei, nach Zypern, ins östliche Mittelmeer und in den Libanon reicht. Das mächtige Radar dieses Systems könnte nicht nur US-Flugzeuge (einschließlich „stealth“) auf große Entfernung entdecken und zum Ziel nehmen,es könnte auch den wenigen russischen Luftüberlegenheitsfliegern eine enorme Hilfe sein, indem es ihnen ein deutliches Bild des Himmels und der Feindlichen Flugzeuge gibt, unter Nutzung verschlüsselter Datenverbindungen. Schließlich ist die US-Luftdoktrin extrem abhängig von dem Gebrauch der AWACS-Flugzeuge, um die US-Flieger zu leiten und zu unterstützen. Die S-300V werden die USA und die NATO zwingen, auf sehr unbequeme Entfernung zu operieren. Die S-300V wird die US/NATO-AWACS zwingen, aus einer höchst unbequemen Entfernung zu arbeiten. Zwischen dem weiter reichenden Radar der russischen Sukhois, dem Radar der russischen Kreuzer vor der syrischen Küste und dem Radar der S-300 und S-300V vor Ort werden die Russen eine weit bessere Situationserfassung haben als ihre Gegenstücke auf Seiten der USA.

Es scheint, die Russen bemühen sich sehr, ihre numerische Unterlegenheit durch die Verlagerung hochentwickelter Systeme zu kompensieren, für die die USA keine wirklichen Gegenstücke oder gute Gegenmaßnahmen besitzen.

Es gibt im Grunde zwei Optionen der Abschreckung: Verweigerung, wenn man den Gegner daran hindert, seine Ziele zu treffen, und Vergeltung, bei der man die Kosten eines gegnerischen Angriffs für ihn inakzeptabel hoch macht. Die Russen scheinen beide Strategien gleichzeitig zu verfolgen. Daher können wir die russische Herangehensweise so zusammenfassen:

  1. Eine Konfrontation so lange wie möglich hinauszögern (Zeit gewinnen).
  2. Die Konfrontation auf dem niedrigsten möglichen Eskalationsniveau halten.
  3. Wenn möglich, mit asymmetrischer/horizontaler Eskalation antworten.
  4. Statt gegen die USA/die NATO zu „siegen“ – die Kosten des Angriffs zu hoch werden lassen.
  5. Versuchen, auf die US-“Verbündeten“ Druck auszuüben, um Spannungen innerhalb des Empire zu erzeugen.
  6. Versuchen, die USA auf politischer Ebene zu paralysieren, indem die politischen Kosten eines Angriffs zu hoch werden.
  7. Versuchen, schrittweise vor Ort (Aleppo) die Bedingungen zu schaffen, die einen US-Angriff unnütz werden lassen.

Bei jenen, die mit Hollywood-Filmen aufgewachsen sind und die immer noch fernsehen, wird diese Art Strategie nur Frustration und Verurteilung auslösen. Es gibt Millionen Sesselstrategen, die sich sicher sind, einen weit besseren Job als Putin darin zu machen, dem US-Empire etwas entgegenzusetzen. Diese Leute erzählen uns schon seit Jahren, dass Putin die Syrer „ausverkauft“ hat (und die Noworossier) und dass die Russen X, Y und Z tun sollten, um das anglozionistische Empire zu schlagen. Die gute Nachricht daran ist, dass diese Sesselstrategen nicht im Kreml sitzen, und dass die Russen sich im Verlauf der letzten Jahre an ihre Strategie gehalten haben, einen Tag nach dem anderen, selbst wenn sie von jenen kritisiert wurden, die schnelle und „einfache“ Lösungen wollen. Nicht nur, dass die Nazi-besetzte Ukraine wortwörtlich zerfällt, sondern die USA haben in Syrien keine Wahlmöglichkeiten mehr (siehe diese exzellente Analyse meines Freundes Alexander Mercouris im Duran)

Die einzigen logischen Schritte, die den USA in Syrien verbleiben, sind, Russlands Bedingungen anzunehmen oder zu gehen. Das Problem ist, dass ich ganz und gar nicht überzeugt bin, dass die Neocons, die das Weiße Haus, den Kongress und die Konzernmedien der USA in der Hand haben, überhaupt „rational“ sind. Darum haben die Russen so viele Verzögerungstaktiken eingesetzt, und darum haben sie mit solch extremer Vorsicht gehandelt: sie haben es mit professionell inkompetenten Ideologen zu tun, die sich schlicht nicht an die ungeschriebenen, aber klaren Regeln zivilisierter Beziehungen halten. Das macht die jetzige Krise so viel schlimmer als die Kuba-Krise: eine Supermacht ist offensichtlich verrückt geworden.

Sind dieAmerikaner irre genug, um wegen Aleppo einen dritten Weltkrieg zu riskieren?

Vielleicht, vielleicht nicht. Aber was, wenn wir die Frage umformulieren und fragen:

Sind die Amerikaner verrückt genug, den dritten Weltkrieg zu riskieren, um ihren Status als die „unverzichtbare Nation der Welt“, der „Führer der freien Welt“, die „Stadt auf dem Berg“ und den ganzen Rest dieses imperialistischen Unsinns zu erhalten?

Hier möchte ich anmerken, dass sie das, ja, möglicherweise sind.

Schließlich haben die Neocons recht, wenn sie fühlen, dass, sollten die Russen damit durchkommen, den USA in Syrien offen zu trotzen und sie zu schlagen, niemand mehr die AngloZionisten sehr ernst nehmen wird.

Was, glaubt ihr, denken die Neocons, wenn sie sehen, wie der Präsident der Philippinen Obama öffentlich einen „Hurensohn“ nennt und dann der EU mitteilt, zu gehen und „sich zu f*cken“?

Natürlich, die Neocons können immer noch etwas Trost im erbärmlichen Lakaientum der politischen Eliten Europas finden, aber dennoch – sie wissen von der Schrift an der Wand, und dass ihr Empire schnell zerfällt, nicht nur in Syrien, der Ukraine oder Asien, sondern selbst innerhalb der USA. Die größte Gefahr ist hier, dass die Neocons versuchen könnten, die Nation um die Fahne zu sammeln, entweder, indem sie eine weitere False Flag inszenieren, oder indem sie eine reale internationale Krise auslösen.

Zu diesem Zeitpunkt können wir nur warten und hoffen, dass es genug Widerstand innerhalb der US-Regierung gibt, um einen US-Angriff auf Syrien zu verhindern, ehe die nächste Regierung das Amt antritt. Und auch wenn ich kein Unterstützer von Trump bin, stimme ich doch zu, dass Hillary und ihre üble Kabale russophober Neocons so schlimm ist, dass Trump mir etwas Hoffnung macht, zumindest im Vergleich mit Hillary.

Sollte Trump gewinnen, dann hat sich Russlands Strategie als grundlegend richtig erwiesen. Sobald Trump im Weißen Haus ist, gibt es zumindest die Möglichkeit einer umfassenden Neudefinition der US-russischen Beziehungen, die, natürlich, mit einer Deeskalation in Syrien beginnen würde: während Obama/Hillary sich kategorisch weigerten, Daesh los zu werden (damit meine ich al-Nusra, al-Qaida und all ihre verschiedenen Erscheinungsformen), scheint Trump entschlossen, ernsthaft gegen sie zu kämpfen, selbst wenn das bedeutet, dass Assad an der Macht bleibt. Das ist sicher eine Basis für den Dialog. Wenn Hillary gewinnt, dann werden die Russen eine absolut entscheidende Wahl treffen müssen: wie wichtig ist Syrien im Kontext ihres Ziels, Russlands Souveränität zurückzugewinnen und das anglozionistische Empire zu stürzen? Eine andere Art, die gleiche Frage zu formulieren, ist, „würde Russland eine Konfrontation mit dem Empire in Syrien oder in der Ukraine vorziehen?“

Eine Möglichkeit, die Stimmung in Russland einzuschätzen, ist, die Sprache des kürzlich von Präsident Putin vorgelegten und von der Duma angenommenen Gesetzentwurfs zum russisch-amerikanischen Plutonium-Managements- und Entsorgungsabkommen (PDMA) zu betrachten, ein Abkommen, bei dem die USA ein weiteres Mal ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind und das Russland nun ausgesetzt hat. Interessant ist die Sprache, die die Russen wählten, um die Bedingungen aufzuzählen, unter denen sie bereit wären, ihre Teilnahme an dem Abkommen wieder aufzunehmen und, im Grunde, überhaupt irgendeine Art von Abrüstungsverhandlungen wieder aufzunehmen:

  1. Eine Verringerung der militärischen Infrastruktur und der Zahl der US-Soldaten, die auf dem Gebiet der NATO-Mitgliedsstaaten stationiert sind, die der Allianz nach dem 1. September 2000 beigetreten sind, auf das Niveau, auf dem sie sich befanden, als die ursprünglichen Vereinbarungen in Kraft traten.
  2. Die Beendigung der feindseligen Politik der USA gegenüber Russland, die durch Aufhebung des Magnitzky-Acts von 2012 und der Bedingungen des Ukraine Freedom Support Acts von 2014 erfolgen sollte, die direkt gegen Russland gerichtet waren.
  3. Die Aufhebung aller Sanktionen die die USA gegen bestimmte Subjekte der russischen Föderation, russische Bürger und rechtliche Körperschaften verhängt haben.
  4. Kompensation für alle Schäden, die Russland durch die Verhängung der Sanktionen erlitten hat.
  5. Die USA müssen zudem einen klaren Plan für die irreversible Plutonium-Entsorgung gemäß dem PMDA vorlegen.

Nun sind die Russen keine Träumer. Sie wissen sehr gut, dass die USA solche Bedingungen nie akzeptieren werden. Also worum geht es wirklich? Das ist ein diplomatischer, aber unzweideutiger Weg, den USA genau das gleiche zu sagen, was der philippinische Präsident Duterte (und Victoria Nuland) der EU sagten.

Die Amerikaner fangen besser an, aufzupassen.

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