Ursprünglich erschienen bei Ein Parteibuch
Beim Vormarsch der syrischen Armee durch die Wüste von Ithriya in Richtung Tabqa und Raqqa und dem gestrigen Rückzug der syrischen Armee reiht sich Rätsel an Rätsel. Kaum jemand war selbst dabei und die Gerüchteküche brodelt.
Im Zentrum der Gerüchte scheint der russische Reporter Roman Saponkov zu stehen. Er gehört zu den wenigen, die gestern wirklich vor Ort an der Front zwischen Ithriya und Tabqa waren. Nur, dass, was er von da berichtete, ist ziemlich widersprüchlich. Gestern Mittag berichtete Roman Saponkov von der Front an der Straße vom Abzweig Tabqa nach Tabqa, ISIS sei da total zusammengeklappt und würde weglaufen. Kaum drei Stunden später berichtete Roman Saponkov von den gleichen Kampfhandlungen, die syrische Armee sei an der Front angesichts der Übermacht von ISIS zusammengeklappt, habe Hunderte von Toten erlitten und die Reste der syrischen Armee seien zurück bis fast nach Ithriya geflüchtet.
Daraufhin gab es einen Haufen von publizistischen Unterstützern der syrischen Regierung, die Meinungen äußerten im Spektrum etwa von „die Idee nach Raqqa zugehen, war sowieso doof, wir sollten uns auf Aleppo konzentrieren, auch wenn die Russen da anderer Meinung sind“ über „einige Einheiten der syrischen Armee und ihre Partner haben Kameraden durch einen überstürzten Rückzug verraten“ bis hin zu einem Desaster für die syrsche Armee. Der Geschätzte @hamza_780 hat dazu eine neue Lagekarte gemacht, aus der hervorgeht, dass die syrische Armee fast bis auf Ithriya zurückgeworfen wurde.
Doch nicht alle Berichte von der Front waren düster. Die Fars News Agency etwa berichtete gestern sowohl in Text als auch mit Bild davon, dass die syrische Armee und ihre Partner an der Front Fortschritte gemacht und zahlreiche Terroristen elimniert haben. Solch unterschiedliche Berichte gaben – und geben – Rätsel auf: wie geht das alles zusammen?
Heute scheint es so, als würden die Dinge etwas klarer. Ruptly zeigte Bilder von gestern, zu denen geschrieben wurde, dass die syrische Armee ihren Angriff gen Raqqa fortsetzt, während Raketen fliegen.
Und auch der heutige Bericht von Roman Saponkov zu den Ereignissen von gestern klang plötzlich ganz anders.
Um es kurz zu machen: da sieht es nun so aus, dass es tatsächlich einen heftigen Gegenangriff von ISIS auf die syrische Armee und ihre Partner in der Provinz Raqqa gegeben hat. Und die syrische Arme ist auch auf der Straße von Salamiyah nach Raqqa kurz vor dem Tabqa-Abzweig unter heftigen Beschuss geraten. Weiterhin stand die syrische Armee auf der Straße ohne Deckung da, während im Seitenstreifen der Straße, wo Sandhaufen Deckung hätten geben können, Minen verbuddelt waren, durch die es mindestens ein Technical der syrischen Armee zerrissen hat. Ohen minenfrei Deckung rechts und links der Straße suchen zu können, haben die syrische Armee und ihre Partner sich dann zur Vermeidung von größeren Verlusten gegen Abend unter Beschuss ein Stück zurückgezogen, wobei unklar ist, wieweit genau.
Von ISIS gibt es zu den Kämpfen ein Video, was offenbar motorisierte und zum Teil gepanzerte ISIS-Kräfte dabei zeigt, wie sie auf das Umspannwerk beim Tabqa-Abzweig vorrücken und später auch noch zeigt, dass sie am Straßenschild auf der Salamiyah-Raqqa-Straße kurz vor dem Tabqa-Abzweig waren.
Da war, wie man im Bericht von Roman Saponkov nachlesen und in seinem Video anschauen kann, Stunden zuvor noch die syrische Armee. ISIS hat es bei dem Gegenangriff also tatäschlich geschafft, in der Wüste wieder ein paar Kilometer vorzurücken, wobei die Frage offen ist, wieviel.
Vielmehr noch ist dabei die Frage offen, was das Vorrücken in der Wüste für ISIS wert ist. SANA meldete am Mittwoch, die syrische Luftwaffe habe westlich von Raqqa zahlreiche ISIS-Fahrzeuge entdeckt und zerstört.
Sollte es der syrischen Armee gelingen, ISIS-Terroristen aus Tabqa und Raqqa samt ihrer schwersten Waffen in die Wüste herauszulocken, damit sie da ohne Deckung durch eine Zivilbevölkerung zerstört werden können, dürfte die syrische Armee auf der richtigen Linie liegen, auch wenn sie selbst einstweilen kaum dauerhafte Gebietsfortschritte macht und auch selbst ein paar Verluste erleidet. Schließlich ist das Ziel, den Terrorismus zu besiegen, und etwas besseres, als in der Wüste gegen die Terroristen kämpfen zu können, kann der syrischen Armee kaum passieren. Dabei kommt es auf ein paar Kilometer vor und zurück nicht an. Hauptsache ist dabei, dass die Terroristen gecrasht werden.
Vor dem Hintergrund dieses Kalküls im Wüstenkampf ergibt der rätselhafte Rückzug der syrischen Armee und ihrer Partner in oder aus der Wüste der Provinz Raqqa militärischen Sinn. Es ist nicht im Interesse der syrischen Armee, durch die Wüste hindurchzustoßen und dann in Städten wie Tabqa und Raqqa gegen ISIS zu kämpfen, es ist vielmehr im Interesse der syrischen Armee, ISIS erstmal aus den Städten herauszulocken und in der Wüste gegen ISIS zu kämpfen.