Die New York Times und der neue McCarthyismus

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Spezial Report:  Der neue Kalte Krieg und sein Mitreisender, der neue McCarthyismus, erreichen uns auf den Falkenflügeln der New York Times und anderer US-Mainstreammedien, schreibt Robert Parry.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Consortiumnews – Übersetzung von FritztheCat

Von Robert Parry

Der traditionelle US-Journalismus und das amerikanische Volk stehen vor einer Krise. Die amerikanische Top-Zeitung New York Times (NYT) hat ihr professionelles Verhalten verloren und verwandelt sich in ein neokonservatives Propagandablatt, das sich nach einem Neuen Kalten Krieg mit Russland sehnt und der öffentlichen Debatte einen neuen McCarthyismus auferlegt.

Die Krise ist besonders akut weil eine weitere nationale Top-Zeitung, die Washington Post, bereits tief im Neokon-Lager steckt.

Dass die NYT ihre journalistischen Grundsätze aufgegeben hat, zeigt sich auffälligst bei den immer wiederkehrenden Tiraden auf Russland und die NYT bietet eine Geschichte nach der anderen. Das hätte sogar Senator Joe McCarthy und seine Kommunisten-Hasser in der 1950ern in Verlegenheit gebracht.

Jurist Roy Cohn (rechts) mit Sen. Joseph McCarthy.

Jurist Roy Cohn (rechts) mit Sen. Joseph McCarthy.

Ein kürzlicher NYT-Artikel von Neil MacFarquhar kommt ohne jeden tatsächlichen Beweis aus. Darin versucht er, öffentliche Herausforderungen zu offiziellen US-Regierungsschilderungen über Weltereignisse auf eine massive „Desinformations“-Kampagne russischer Agenten zurückzuführen. Anscheinend ist es für die NYT unvorstellbar, dass unabhängig denkende Menschen vielleicht ein paar Fragen zu den dubiosen Behauptungen des offiziellen Washingtons haben.

Am verblüffendsten ist wahrscheinlich, dass die Times, um zu beweisen dass sie Recht hat, den Slogan des englischsprachigen russischen TV-Senders RT zitiert und sagt: „RT tönt mit dem Slogan ‚Question More‘.“ („Stell mehr Fragen“)

Das soll wohl heißen: Wenn jemand eine Behauptung der US-Regierung oder eines NATO-Verbündeten in Frage stellen will, dann ist diese Person automatisch „ein russischer Agent mit Einfluss“. Dass eine große Tageszeitung eine solche Haltung einnimmt ist die Antithese zu den Grundsätzen des Journalismus, die von uns Journalisten verlangen, alles in Frage zu stellen.

Die Haltung der NYT ist besonders haarsträubend weil sich viele Schlüsselbehauptungen der US-Regierung als falsch erwiesen haben, darunter einige die zur Rechtfertigung aggressiver Kriege gegen andere Länder benutzt wurden. Ja, die NYT wurde dabei ertappt, einige dieser betrügerischen Behauptungen verbreitet zu haben, die oft von US-Regierungsvertretern oder von Denkfabriken (finanziert von amerikanischen Waffenfirmen) an die „newspaper of record“ verfüttert wurden.

Der Desinformationskanal

Am besten ist in Erinnerung, wie die NYT 2002 die Desinformation über ein neu aufgelegtes Nuklearprogramm der irakischen Regierung verbreitet hat. Eine Lüge, die dann von Vizepräsident Dick Cheney und anderen hochrangigen Offiziellen zitiert wurde. Und das half mit, das amerikanische Volk wie eine Schafherde (@dok;) in die Invasion 2003 in den Irak zu lenken.

Die von der New York Times aufgegriffene umstrittene Karte von Human Rights Watch zeigt angeblich die Flugbahnen zweier Raketen des Angriffs mit Saringas vom 21. August, abgefeuert von einem syrischen Militärstützpunkt.

Die von der New York Times aufgegriffene umstrittene Karte von Human Rights Watch zeigt angeblich die Flugbahnen zweier Raketen des Angriffs mit Saringas vom 21. August, abgefeuert von einem syrischen Militärstützpunkt.

Weniger bekannte Momente der NYT als Desinformationskanal beinhalten die wider­legte Aussage über die Sarin-Anschläge 2013 in Syrien. Dabei zeigte die NYT die angeblichen Geschossbahnen der zwei Raketen, die auf einen syrischen Mili­tär­stütz­punkt deuteten. Später musste man zähneknirschend zugeben, dass ballis­tische Experten berechnet haben, dass die eine gefundene Rakete mit Sarin nur etwa ein Viertel der erforderlichen Reich­weite hatte.

Während der Ukraine-Krise 2014 veröffentlichte die NYT Fotografien aus dem US-Außenministerium, die angeblich russisches Militärpersonal zuerst in Russland und dann in der Ukraine zeigen sollten. Leider hat sich herausgestellt, dass die Fotos, die angeblich in Russland gemacht wurden, tatsächlich in der Ukraine gemacht wurden. Das hat die ganze Geschichte des NYT-Artikel zerstört.

Fotografie veröffentlicht von der New York Times, welche russische Soldaten in Russland zeigt, welche später in den Osten der Ukraine verlegt wurden. Allerdings hat der Fotograf später festgestellt, dass das Foto eigentlich in der Ukraine aufgenommen wurde. Das U.S. State Department bestätigte den Fehler.

Fotografie veröffentlicht von der New York Times, welche russische Soldaten in Russland zeigt, welche später in den Osten der Ukraine verlegt wurden. Allerdings hat der Fotograf später festgestellt, dass das Foto eigentlich in der Ukraine aufgenommen wurde. Das U.S. State Department bestätigte den Fehler.

Dennoch hält sich die New York Times für eine Art Hüterin der Objektivität. Dieser Fieberwahn unterstreicht einmal mehr, wie außer Rand und Band und in der Tat gefährlich die NYT geworden ist. Sie ist eine Quelle für Desinformation der US-Regierung und gleichzeitig beschuldigt sie andere, sie würden russische Desinformation zu verbreiten. Dabei ist das oft gar keine Desinformation.

In ihrem Artikel zitiert die NYT begründete Fragen schwedischer Bürger zu dem Vorschlag, das Land in eine militärische Zusammenarbeit mit der NATO zu führen. Diese Bedenken werden als ein Beweis für russische Regierungspropaganda und Lügen abqualifiziert:

„Die Behauptungen sind alarmierend: Sollte Schweden, ein Nicht-NATO-Mitglied, diesen Vertrag unterzeichnen, dann würde die Allianz insgeheim Nuklearwaffen auf schwedischem Boden stationieren; die NATO könnte dann ohne Zustimmung der schwedischen Regierung Russland angreifen; NATO-Soldaten, die immun gegen strafrechtliche Verfolgung sind, könnten ohne Angst vor gerichtlicher Bestrafung schwedische Frauen vergewaltigen.“

Aber diese Sorgen schwedischer Bürger – und von MacFarquhar in der NYT zitiert – sind keine unbegründeten Bedenken. Denn Nuklearwaffen werden oft in NATO-Ländern gelagert, NATO-Mitglieder sind verpflichtet, zum Schutz anderer Länder in den Krieg zu ziehen und es gab Probleme mit Fällen von Vergewaltigung an NATO- und anderen ausländischen Stützpunkten. [Anm.d.Ü.: zu den anderen ausländischen Stützpunkten gehört z.B. Japan. Die Truppenstatut-Abkommen mit den USA gewähren den US-Soldaten Immunität im „Gastland“]

Wie diese Tatsachen ein Land betreffen könnten, das einem militärischen Abkommen mit der NATO zustimmt, sind begründete Bedenken für die Schweden. Aber stattdessen werden diese Sorgen als russische Desinformation beiseite gewischt, ohne auch nur einen Beweis für diese Behauptung zu liefern.

Kein Beweis

MacFarquhar gesteht sogar ein, das seine Hauptanschuldigung nicht von Beweisen untermauert ist und schreibt: „Wie so oft in solchen Fällen waren schwedische Offizielle nicht in der Lage, die Quelle der falschen Berichte ausfindig zu machen.“

Und MacFarquhar fügt hinzu: „Aber sie, die zahlreichen Analysten und Experten in amerikanischen und europäischen Nach­rich­ten­diensten, deuten auf Russland als den Hauptverdächtigen. Sie weisen darauf hin, dass die Verhinderung einer Aus­deh­nung der NATO ein Kernthema der Außen­politik von Präsident Wladimir W. Putin ist, der 2008 nach Georgien ein­mar­schiert ist um diese Mög­lich­keit zu unter­binden.“

Der russische Präsident Wladimir Putin nach seiner Ansprache bei der UN-Generalversammlung am 28. September 2015 (UN Foto).

Der russische Präsident Wladimir Putin nach seiner Ansprache bei der UN-Generalversammlung am 28. September 2015 (UN Foto).

MacFarquhar zitiert zwar zur Untermauerung seiner These die russische „Invasion“ in Georgien, angeblich um dessen Eintritt in die NATO zu vereiteln, als nackte Tatsache. Aber dieser historische Hinweis ist eine viel komplexere Angelegenheit, denn es war Georgien, das einen Angriff auf die abtrünnige Provinz Südossetien startete und dabei dort stationierte russische Friedenstruppen tötete.

Eine Untersuchung der Europäischen Union gab Georgien die Hauptschuld für den Beginn des Konflikts, die Russen haben auf diesen georgischen Angriff reagiert. Der Bericht einer EU-Mission 2009 unter der Führung der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini wies georgische Behauptungen über Selbstverteidigung zurück und kam zu dem Schluss, dass Georgien, und nicht Russland, den Konflikt auslöste.

„Keine der von den georgischen Behörden vorgelegten Erklärungen für irgendeine Art juristischer Rechtfertigung der Attacke führte zu einer brauchbaren Erklärung“, sagte Tagliavini.

In dem EU-Bericht steht: „Es gab keinen fortdauernden bewaffneten Angriff Russlands vor dem Beginn der georgischen Operation. Georgische Behauptungen über eine größere Präsenz bewaffneter russischer Kräfte in Südossetien vor der georgischen Offensive konnten durch die Mission nicht erhärtet werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass Russland kurz vor einem größeren Angriff gestanden haben soll.“

Mit anderen Worten: Das Militär Putins ist 2008 nicht in Georgien einmarschiert um Georgiens Eintritt in die NATO „zu vereiteln“, sondern als eine Reaktion – man kann darüber diskutieren ob es eine Überreaktion war – auf die gewaltsame Offensive Georgiens in Südossetien.

Trotzdem zitiert MacFarquhar dieses zweifelhafte Argument als eine Art indirekten „Beweis“, dass Putin für die Fragen der schwedischen Bürger, was eine NATO-Assoziation für sie bedeuten würde, verantwortlich sei.

Nachdem er zugibt keine echten Beweise zu haben, und nachdem er historische „Fakten“ zitiert die gar keine echten Fakten sind, erweitert MacFarquhar seine Verschwörungstheorie auf jüngere Ereignisse und behauptet, dass Putin „sehr viel in ein Programm zur ‚Bewaffnung‘ der Information gesteckt hat, er benutzt verschiedene Mittel um Zweifel und Zwietracht zu säen…“

„Der Hauptzweck der dezinformatsiya, oder russischer Desinformation, ist laut Experten die Untergrabung der offiziellen Version der Ereignisse – ja sogar der Vorstellung, es gäbe eine wahre Version der Ereignisse – und die Förderung einer Art politischer Lähmung.“

Der Fall MH-17

Als ein Beispiel zitiert MacFarquhar den Fall des Abschusses von Flug Nummer 17 der Malaysian Airlines über der Ostukraine am 17. Juli 2014 und behauptet: „Russland hat eine verwirrende Anzahl an Theorien vom Stapel gelassen.“ Der NYT-Korrespondent liefert dann als nackte Tatsache, dass „der ganze Haufen an Geschichten dabei half, die simple Wahrheit zu verschleiern, dass schlecht trainierte Aufständische das Flugzeug versehentlich mit einer von Russland gelieferten Rakete abschossen.“

Aber nach den seit mehr als zwei Jahren andauernden offiziellen Untersuchungen ist MacFarquhars Behauptung nicht die „simple Wahrheit“ wie er sie darstellte. Der Bericht des Dutch Safety Board (DSB) vom letzten Jahr kommt zu keinem Ergebnis darüber, wer für den Abschuss des Flugzeugs mit 298 toten Menschen verantwortlich war.

Malaysia-Airlines-Flug 17 vom 17. Juli 2014: Rekonstruktion des niederländischen Sicherheitsausschusses von der Stelle, von der man ausgeht, dass dort die Rakete explodierte.

Malaysia-Airlines-Flug 17 vom 17. Juli 2014: Rekonstruktion des niederländischen Sicherheitsausschusses von der Stelle, von der man ausgeht, dass dort die Rakete explodierte.

Ja, der DSB-Bericht enthält eine Stellungnahme des holländischen Geheimdienstes (der Aufklärungsdaten der NATO benutzt), wonach an jenem Tag die einzigen wirksamen Flugabwehrraketen in der Ostukraine – die in der Lage waren, MH-17 in 33.000 Fuß zu treffen – unter der Kontrolle des ukrainischen Militärs standen. (Obwohl dies ein offizielles Dokument ist, hat es die New York Times nie erwähnt. Wahrscheinlich weil es die beliebte „Russland war es“-Geschichte stört.)

Die US-Regierung, die in den fünf Tagen nach dem Crash sofort die ethnischen russischen Rebellen beschuldigte, die eine von Russland gelieferte Buk-Rakete benutzt hätten, wurde dann dazu sehr still, nachdem Analysten der CIA Gelegenheit hatten, die Beweise detaillierter zu studieren.

Trotz Appellen von Familien holländischer Opfer und dem Vater des einzigen bei dem Absturz ums Leben gekommen Amerikaners hat sich die US-Regierung geweigert, ihre Radar- und Satellitenbilder oder andere nachrichtendienstliche Informationen zu veröffentlichen. Sie könnten vermutlich genau feststellen wer verantwortlich war.

Warum die US-Regierung die Untersuchung dieser Tragödie behindert, wenn die Beweise tatsächlich Putins Verantwortung beweisen würden, ergibt keinen Sinn. Eigentlich ist das genau die Art von Frage, auf die ein verantwortlicher Journalist von der US-Regierung eine Antwort erwarten würde. Aber MacFarquhar und die Times vermindern den Druck, indem sie einfach den Eindruck wiedergeben, den die US-Regierung der Öffentlichkeit vermitteln will: Die Russkis waren’s!

In den Wochen nach dem Absturz erzählte mir eine Quelle, die von US-Nachrichtenanalysten unterrichtet wurde, dass die geheimen US-Daten in die Richtung einer wild gewordenen ukrainischen Militäroperation deuten. Das würde zu der Stellungnahme des niederländischen Geheimdienstes passen. Wie auch immer das Endergebnis sein wird, es ist einfach schlechter Journalismus, etwas als eine nackte Tatsache darzustellen, wozu weiterhin ernste Zweifel bestehen. Ein professionelles Versagen, das an das Vorgehen der Times und der Post 2002-2003 zu den irakischen WMD als Gewissheit erinnert.

Noch hinterhältiger

Aber da ist noch etwas viel hinterhältigeres an der Vorgehensweise der NYT und der WaPo. Im Grunde sagen sie, dass das Infragestellen der offiziellen US-Regierungssicht zu jeder internationalen Frage einen sofort in das Moskau-Lager stellt. Dort versucht man angeblich, Informationen „in eine Waffe zu verwandeln“ – was immer das bedeuten soll.

Die zwei Tageszeitungen versuchen sich an einer atemberaubenden Form des McCarthy­ismus. Offensichtlich ein un­red­licher Versuch, dem amerika­nischen Volk eine neo­kon­ser­vative ideo­logi­sche Kon­for­mität über­zu­stül­pen, die einen Neuen Kalten Krieg unterstützen soll.

Da gibt es auch einen erstaunlichen Mangel an Selbstwahrnehmung. Auf der einen Seite sieht MacFarquhar den russischen Wunsch, das Leben in den USA als „höllisch“ darzustellen, darunter die Entscheidung von RT, die Proteste während der republikanischen und demokratischen Parteitage zu zeigen – anstelle einiger Reden. Andererseits greifen er und andere Autoren ständig dieses Thema auf, um die Situation in Russland in den dunkelsten Farben zu schildern.

Relative harmlose Aktionen, wie die Sichtweise des Kreml in die Welt zu tragen, werden mit Schlagwörtern wie „weaponize“ und „hybride Kriegsführung“ in böse Taten umgewandelt. Aber nicht ein Ton über die Abermilliarden von Dollars, die die US-Regierung in die Verbreitung von Propaganda gesteckt hat und damit politische Aktivisten auf der ganzen Welt finanziert.

Die NATO hat in Riga, Lettland sogar etwas errichtet, das sich „Strategic Communications Command“, kurz Stratcom nennt. Der Kriegsveteran-Korrespondent Don North schrieb darüber: „Unter der eingängigen Bezeichnung ‚Strategic Communications‘ wird Information als eine Waffe der „sanften Gewalt“ kontrolliert und manipuliert, und es werden psychologische Kriegsführung, Propaganda und öffentliche Belange vermischt.“

„Diese Einstellung hat dazu geführt, dass die manipulativen Techniken von PsyOps zur Beeinflussung der Gefühlslage einer Zielbevölkerung und zur heimlichen Formung der Wahrnehmung der Menschen verwendet werden, als sei das ein normaler Teil der Informationspolitik der USA und der NATO…“

„Und, als Teil dieser Schönen Neuen Welt aus „strategischer Kommunikation“, sind das US-Militär und die NATO gegen jene Nachrichtenorganisationen in die Offensive gegangen, die einen Journalismus bieten, der aus ihrer Sicht jene Wahrnehmung untergräbt, die die US-Regierung auf der Welt verbreiten will.“

Mit anderen Worten: Die US-Regierung und die NATO betreiben etwas, das die Psychologen als „Projektion“ bezeichnen („unterbewusste Vorwürfe“): Ein anderer wird für das eigene Verhalten beschuldigt. Aber die New York Times hat noch nie die Verwicklung Washingtons und der NATO in die „Strategische Kommunikation“ recherchiert. So dreckige Sachen machen nur die Russen.

Eine noch dunklere Seite

Aber es gibt eine noch dunklere Seite in der jüngsten Propaganda-Breitseite der NYT über russische Propaganda. Im Schlepptau von MacFarquhars Anschuldigung an Moskau wegen der Infragestellung der offiziellen Sicht Washingtons hat die NYT eine üble Attacke auf WikiLeaks und dessen Gründer Julian Assange veröffentlicht. Der Titel: „Wie Russland oft davon profitiert wenn Julian Assange die Geheimnisse des Westens aufdeckt.“

Dieser Artikel stellt Assange als einen Mitspieler dar, der – wissentlich oder nicht – an Russlands angeblich ruchlosen Plänen der Veröffentlichung wahrer Informationen beteiligt sei. Wie etwa die emails des DNC (Democratic National Committee), die bestätigt haben, was viel schon lange vermutet haben, nämlich dass einige Parteivorstände Hillary Clinton den Vorzug vor ihrem Rivalen Bernie Sanders gaben. Niemand hat behauptet dass diese emails nicht echt wären.

Jedoch haben die Times und der Rest der US-Massenmedien – ohne einen echten Beweis zu liefern, dass russische Geheimdienste für das Durchstechen verantwortlich seien – diese Vermutung auf Grundlage der gängigen Meinung einiger ungenannter US-Offizieller geäußert.

WikiLeaks-Gründer Julian Assange bei einer Medienkonferenz in Kopenhagen, Dänemark. (Foto: New Media Tage / Peter Erichsen)

WikiLeaks-Gründer Julian Assange bei einer Medienkonferenz in Kopenhagen, Dänemark. (Foto: New Media Tage / Peter Erichsen)

Oder wie die NYT in ihrem Assange-Urteil schreibt: „Vertreter der USA sagen, sie seien der festen Überzeugung dass das Material der Demokratischen Partei von der russischen Regierung gehackt wurde…Das wirft die Frage auf: Ist WikiLeaks zu einer Waschmaschine für kompromittierendes Material geworden, das von russischen Spionen gesammelt wurde? Und im weiteren Sinn, wie ist eigentlich genau die Verbindung zwischen Herrn Assange und dem Kreml von Herrn Putin?…“

„Regierungsvertreter der USA kommen zu der Meinung, dass Herr Assange und WikiLeaks wahrscheinlich keine direkten Verbindungen zu den russischen Nachrichtendiensten haben. Aber sie sagen, dass zumindest im Fall der emails der Demokraten Moskau wusste, dass man in WikiLeaks einen freundlichen Partner hatte, wo Zwischenhändler ihre geklauten Dokumente in der anonymen digitalen Box der Gruppe hinterlegen konnten.“

Es ist ja schön, dass einige US-Vertreter zugeben, dass es keine Beweise für eine tatsächliche Beziehung zwischen Assange und den russischen Geheimdiensten gibt. Aber die Tatsache, dass eine so bekannte journalistische Institution wie WikiLeaks unter dieser Art von US-Regierungsuntersuchung steht, sollte der NYT und anderen Organisationen zu denken geben.

Stattdessen scheint die Zeitung darüber enttäuscht zu sein, dass man Assange nicht direkt als einen „Handlanger Moskaus“ bezeichnen kann. (Bemerkenswert ist auch der letzte Absatz, in dem die NYT die Vermutung, russische Geheimdienste hätten die emails der Demokraten gehackt, als eine ausgemachte Sache darbietet. Selbst wenn Offizielle der US-Geheimdienste sagen, sie wüssten es nicht genau.)

Verifizieren – nicht moralisieren!

Gewöhnlich lautet die Faustregel für Journalisten, Informationen einzusammeln und zu verifizieren, egal wo sie herkommen. Gelegentlich kommen die Informationen von selbstlosen Informanten, aber in der Regel kommen die Informationen von Parteien mit Interessen, um ihre Rivalen zu schädigen. Wir sehen das in Gerichtsprozessen, wo Anwälte Dokumente vorlegen, die ihrem Fall nützlich sind und im politischen Wettstreit, wo die Kampagnen die schmutzige Wäsche des Gegners ausgraben.

Aber Journalisten werfen berichtenswerte Informationen nicht weg nur weil sie einem Zweck dienen. Wir überprüfen sie, und wenn sie sich bestätigen, dann verwenden wir sie. Ein Problem entsteht nur, wenn man das Material als nackte Tatsache darbietet, ohne Warnhinweise, und später stellt es sich als falsch heraus. So ist es wiederholt mit Material passiert, das die US-Regierung an die NYT und die WaPo geleakt hatte.

Was an der Behandlung Assanges durch die NYT besonders unprofessionell ist: Keiner sagt, dass die emails der Demokratischen Partei Desinformation seien. Sie scheinen ziemlich echt und sind von aktuellem Belang, nämlich: Wollte der Demokratische Parteivorstand die Kandidatur an Hillary Clinton verschenken?

Aber die unprofessionelle Vorgehensweise der NYT sowohl mit wahren Informationen von WikiLeaks als auch die Missachtung der NYT einer gerechtfertigten Debatte über einen Neuen Kalten Krieg mit Russland trägt zu einer weiteren gefährlichen Entwicklung bei – Menschen die die offizielle Sichtweise Washingtons in Frage stellen, werden mit offiziellen Untersuchungen der US-Regierung überzogen, a la McCarthy.

Eine offizielle Untersuchung

Die Washington Post berichtete am Dienstag: „US Nachrichten- und Strafverfolgungsbehörden haben Untersuchungen dazu eingeleitet, was als eine breite verdeckte Operation Russlands in den USA angesehen wird, um öffentliches Misstrauen in die bevorstehende Präsidentenwahl und in politische Institutionen der USA zu säen…“

„Ziel ist es, das Ausmaß und die Absicht der russischen Kampagne zu verstehen, dazu gehören Cyber-Werkzeuge um Systeme zu knacken, die im politischen Prozess verwendet werden, die die Fähig­keiten Russlands erhöhen, Des­in­for­ma­tion zu verbreiten. „Ein russischer Ein­fluss, der in den Vereini­gten Staaten wirkt, ist etwas, das wir uns ganz genau anschauen‘, sagte ein hochrangiger Vertreter der Geheimdienste.“ Gleichzeitig gab er zu, dass es keinen „endgültigen Beweis“ für einen solchen russischen Plan gäbe.

Die Gefahr einer solchen Untersuchung – und normale Nachrichtenmedien würden sich darauf konzentrieren – liegt darin, dass die US-Regierung einen unkoordinierten Blick darauf wirft, wie Russland angeblich die öffentliche Debatte in Amerika beeinflusst. Eine Untersuchung, die leicht eine Linie überschreiten und die Loyalität von Amerikanern in Frage stellen könnte, die nur das diskutieren wollen, was die US-Regierung über die gegenwärtigen Ereignisse behauptet.

Die WaPo berichtet: „Vertreter der US-Geheimdienste beschreiben die verdeckte (russischen) Kampagne um Einfluss als „ehrgeizig“ und sagen, sie wäre auch dazu bestimmt, die Führung und den Einfluss der USA in internationalen Angelegenheiten herauszufordern…“

„Russland steht an der Spitze einer wachsenden globalen Bewegung, die Propaganda im Internet benutzt, um Menschen und politische Ereignisse zu beeinflussen, insbesondere seit der politischen Revolte in der Ukraine, die nachfolgende Annektion der Krim durch Russland und der Verhängung von Sanktionen gegen Russland durch die Vereinigten Staaten und die Europäische Union…“

„’Unsere Studien zeigen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass diese Operationen (für Einfluss) zentral gesteuert sind‘, sagt Janis Sarts, der Direktor des Strategic Communications Center of Excellence der NATO, einer in Riga, Lettland, stationierten Forschungseinrichtung.“

Ja, das ist der selbe NATO Stratcom-Komplex über den Don North berichtete, wo psychologische Kriegsführung mit traditioneller Werbung vermischt wird. Wenn man nur den Artikel der Washington Post lesen würde, wüsste man das nicht. Dort wird Stratcom als Quelle zitiert um Russland zu beschuldigen, es würde einflussreiche Operationen durchführen.

Eine weitreichende Verschwörung

Gemäß WaPo sagte Sarts auch: „Es gibt koordinierte Bemühungen (von Gruppen) mit Twitter und Facebook und Bot-Netzwerken, um ihre Botschaften zu verstärken. Die großen Themen scheinen von ziemlich hohen Stellen in der Hierarchie des russischen Staates orchestriert zu werden. Und es gibt auch individuelle Anstrengungen von Leuten, die bestimmte Themen ausbeuten.“

„Sarts sagte, die russischen Propagandabemühungen hätten ‚erfolgreich die Verwundbarkeit innerhalb von Gemeinschaften ausgenutzt‘. In Westeuropa wurde zum Beispiel die russische Informations-Kriegsführung auf die politisch spaltende Flüchtlingskrise konzentriert.“

Mit anderen Worten: Jeder Bericht oder Kommentar zu einem bedeutenden außenpolitischen Thema könnte einen Journalisten oder Bürger in eine US-Regierungsuntersuchung verwickeln, ob man Teil eines hinterhältigen russischen Propaganda/Desinformations-Plans ist.

Dieser Untersuchungsstil a la McCarthy hat bereits zu fröstelnden Auswirkungen auf die öffentliche Debatte in den USA geführt. Abweichende Meinungen zu Russland, Syrien oder anderen heißen Eisen werden schnell als Feindpropaganda verurteilt. Fast jeder der eine Frage dazu stellt, ob ein neuer, kostspieliger und gefährlicher Kalter Krieg notwendig sei, wird sofort als „russischer Agent mit Einfluss“, als „Putinversteher“ oder als „Handlanger Moskaus“ bezeichnet.

Hier sind die Demokraten besonders aggressiv und spielen die Rolle von Joe McCarthy. Sie denunzieren den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump mit dermaßen überzogenen Begriffen und stellen sogar seine Loyalität in Frage, nur weil er vorschlug, dass er als Präsident mit Putin zurechtkommen würde.

Während der McCArthy-Ära in den 1950ern benötigte man zur Verteidigung der Denkfreiheit mutige Journalisten wie Edward R. Murrow, die sich gegen die oft unbegründeten Schmierenkampagnen über den Patriotismus von Amerikanern zur Wehr setzten. Im Jahr 2016 sind es jedoch die führenden Nachrichtenmedien, insbesondere die New York Times und die Washington Post, die den Marsch in den Neuen Kalten Krieg und in einen neuen McCarthyismus anführen.

Robert Parry, US-ameri­kanischer Journalist, der in den Verei­nigten Staaten vor allem in den 1980ern durch seine Arbeiten zur Iran-Contra-Affäre, damals für Associated Press und Newsweek bekannt wurde. Sie können sein letztes Buch “America’s Stolen Narrative” entweder als print oder als E-Book (via Amazon oder bei barnesandnoble.com) kaufen.

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