Die Festung Aleppo

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Die Belagerung von Petersburg während des amerikanischen Bürgerkriegs dauerte 9 Monate. Die Belagerung von Tobruk während des 2. Weltkriegs dauerte 8 Monate. Die Verteidigung Leningrads während des 2. Weltkriegs dauerte 900 Tage. Tripolis wurde im Jahr 2011 innerhalb von 8 Tagen eingenommen.

Die Schlacht um Aleppo wütet seit dem Jahr 2012 und bisher hat keine der Konfliktparteien einen entscheidenden Vorteil errungen.

Aleppo ist nicht die Hauptstadt Syriens, jedoch war ihre Einwohnerzahl im Jahr 2012 höher als die von Damaskus. Sie ist ein wichtiges Industriezentrum, in dem sich vor dem Krieg Elektro-, Chemie-, Textil und pharmazeutische Unternehmen konzentrierten. Aleppo war verantwortlich für 60 % der Exporterlöse im Staatshaushalt. Die Stadt war auch die Heimat von Militärschulen wie der Al-Assad Akademie sowie von Waffendepots. Proteste gegen das Regime beeinträchtigten die Stadt fast ein Jahr lang nicht. Die Situation verschlechterte sich erst nach der Explosion am Hauptquartier des Heeresnachrichtendienstes und dem Sahour-Platz am 10. Februar 2012, wodurch 25 Menschen starben. Danach entwickelte sich die Lage wie eine Lawine. Anfang Juli starteten Rebellen einen Großangriff auf die Region Idlib, wobei diese von der regulären Armee schwere Waffen eroberten. Dies wiederum ermöglichte es ihnen, auf Aleppo vorzustoßen. Die ersten schweren Zusammenstöße mit der regulären Armee begannen am 20. Juli im Viertel Saladin. Am 21. Juli übernahmen die Rebellen von Aleppo und die mittlerweile in der Stadt angekommenen “Liwa al-Tawhid” die Kontrolle über die Straßen in mehreren Stadtteilen, darunter auch Sakhura. So begann die Besetzung der Stadt durch die bewaffnete Opposition. Der rasche Erfolg der bewaffneten Opposition war vor allem auf die Vorbereitungen des türkischen Geheimdienstes unter einigen der sunnitischen Bourgeoisie in Aleppo zurückzuführen. Die türkische Regierung hatte den verärgerten Sunniten in Aleppo versprochen, dass die türkische Armee intervenieren würde, wenn die Rebellen die Stadt in beschlag nehmen sollten und dann einen Pufferstaat in Aleppo schaffen würden, in dem lokale Unternehmen von Steuern befreit werden würden. Das türkische Interesse wird durch die Entfernung von Geräten aus 1.500 stadteigenen Betrieben und den anschließenden Abtransport in die Türkei bezeugt. Die türkischen Motive sind mehr oder weniger klar: In den vergangenen Jahren investierte Aleppo vor allem in die Leichtindustrie und in die Modernisierung von Produktionsanlagen. Aleppo wurde ein Wettbewerber für türkische Unternehmen. Wie für die Wirtschaft von Aleppo ist Bashar Assads Beruf Kinderophthalmologe. Dieser Beruf ist ein Spiegelbild des Charakters der Person und seiner Einstellung gegenüber anderen. Wenn er ein blutiger Diktator wäre, wie ihm westliche Medien skizzieren, hätte Assad nicht gezögert, seine Armee zu entsenden, um die Proteste zu zerschlagen.

Industrielle und Unternehmer sahen, dass die Situation nach einem Jahr der Massenproteste nicht normalisiert wurde, nahmen dies als Schwäche der syrischen Regierung und beschlossen, die türkische Karte zu spielen. Sie waren ein wichtiger Bestandteil der Offensive auf Aleppo und mobilisierten Einwohner der Stadt mit Hilfe von Aufrufen zum Dschihad aus mehreren Moscheen in sunnitischen Stadtvierteln. Es sei darauf hingewiesen, dass die Opposition in den westlichen Stadtteilen ursprünglich wenig Macht besaß. Andererseits waren die östlichen Stadtviertel überwiegend von der vor Kurzem zugezogenen Landbevölkerung bewohnt – von den armen und den konservativ denkenden Muslimen. Zur selben Zeit sind die westlichen Stadtteile der traditionelle Wohnsitz der Einheimischen sowie der christlichen Minderheit.

Die Schlacht von Aleppo wird von allen Konfliktparteien als entscheidend angesehen. Die Opposition plant im Fall ihres Sieges, eine Basis für weitere Feindseligkeiten an der nordwestlichen Grenze zur Türkei zu errichten. Im Gegenzug ist es das Ziel der Syrisch-Arabischen Armee (SAA) diesen Entwicklungen ebenso vorzubeugen, wie der türkischen Intervention zur “Stabilisierung eigener Grenzen”, die eine Folge davon wäre.

Abb. 1 Militärische Lage in Aleppo Stadt am 5. November 2016. Rote Kreise stellen die Bereiche der jüngsten Zusammenstöße dar.

Abb.1 Militärische Lage in Aleppo Stadt am 5. November 2016. Rote Kreise stellen die Bereiche der jüngsten Zusammenstöße dar.

Warum also dauerte die Schlacht so lange? Hierfür gibt es verschiedene Erklärungen.

Der 1. Grund ist das städtische und industrielle Umfeld der Stadt. Die Kriege des 20. Jahrhunderts haben gezeigt, dass der Häuserkampf die schwierigste Art der Kriegsführung ist. Jedes Haus oder Gebäude lässt sich in eine Festung mit Schießscharten für schwere Waffen verwandeln.

Abb. 2 Der MG-Schütze richtet seine Waffe in einer gebohrten Schießscharte in der Wand aus.

Abb. 2 Der MG-Schütze richtet seine Waffe in einer gebohrten Schießscharte in der Wand aus.

Keller sind bereits für den Schutz vor Bomben und Granaten ausgestattet. Sie können ebenso als Ruhe- und Erholungsräume genutzt werden. Zusätzlich ist ein Keller ein idealer Aufbewahrungsort für Waffen, Munition, Lebensmittel und Treibstoff. Sogar zerstörte Häuser dienen als Schutz vor dem Transport von Truppen und Waffen.

abb-3-bewaffnete-einheit-nimmt-position-hinter-einem-beschadigten-auto-ein

Abb. 3 Bewaffnete Einheit nimmt Position hinter einem beschädigten Auto ein.

Minarette, Kirchtürme und Fabrikschlote sind für Scharfschützen sowie für die Boden- und Luftraumbeobachtung ideale Orte. Unterirdische Nachschublinien werden von allen Parteien aktiv zum Schutz ihrer Truppen und für deren plötzliches Erscheinen hinter den Frontlinien genutzt. Dicht bebaute Wohn- und Industrieviertel bereiten Schwierigkeiten bei der Zerstörung von Gebäuden und Strukturen, da es eines großen Vorrats an Munition und eine hohe Anzahl von Geschützen, oder Autobomben bedarf, um Überraschungsangriffe durchzuführen. Gepanzerte Fahrzeuge haben hierbei nur die Nebenrolle der Feuerunterstützung für die anrückende Infanterie inne, weshalb sie ihre überlegene Beweglichkeit und selbst ihre Schutzfunktion nicht nutzen können.

Abb. 4 Verwendung eines Panzers als Deckung von Kleinwaffenfeuer.

Abb. 4 Verwendung eines Panzers als Deckung von Kleinwaffenfeuer.

Der Häuserkampf schafft, aufgrund der Nähe zu den eigenen und feindlichen Streitkräften, Kommando- und Kontrollprobleme und macht den Erhalt einer klaren Frontlinie unmöglich. Die Gefahr des Beschusses durch eigene Truppen ist hoch. Der Häuserkampf beinhaltet plötzliche, kurze Gefechte, die die Soldaten ständigem psychologischen Stress aussetzen. Die urbane Umgebung erschwert zudem die Truppenkonzentration, gestaltet Geheimdienst- und Kommandotreffen schwieriger und behindert den Funkverkehr. Zweifelsohne ist in der Stadt die Verteidigung dem Angriff vorzuziehen.

2. Die Motivation der Konfliktparteien. Aleppo wurde in eine Festung mit Belagerern (SAA) und Belagerten (die bewaffnete Opposition) verwandelt. Die SAA hat in den vier Kriegsjahren geblutet und benötigt neue Ausrüstung und Nachschub. Viele ihrer Verbündeten, wie die kurdischen Milizen, der IRGC (Iranische Revolutionsgarde) oder irakische Freiwillige kommen von außerhalb der Stadt, was ihren Nutzen begrenzt. Durch ihre Darstellung als einen Haufen von Kriegsverbrechern üben die Medien konstanten Druck auf die SAA aus. Viele junge Männer haben sich ihrer Mobilisierung durch die Flucht aus der Stadt entzogen und wurden zu Flüchtlingen. Auch die Rebellen haben hohe Verluste erlitten und wurden vom Rest der Welt abgeschnitten, sie erhalten jedoch internationale Propagandaunterstützung. Und sie haben keinen Anreiz, sich zu ergeben, wegen der Gräueltaten, die sie begangen haben. Daher kann man bei dem bevorstehenden Angriff bittere Kämpfe erwarten.

3. Das zahlenmäßige Gleichgewicht. Weder die eine noch die andere Seite ist bei Anzahl von Truppen und Ausrüstung im Vorteil, wobei der Angreifer für einen garantierten Erfolg eine 3-fache Überlegenheit benötigt. Zudem müssen die vorrückenden Streitkräfte die befreiten Gebiete auch halten, um einen Ausbruch des Gegners zu verhindern und die Stadt von Minen und Sprengfallen reinigen, um schwere Verluste zu vermeiden, welche die militärische Stärke der SAA noch weiter untergraben würde.

Es ist schwer zu sagen, wie sich das Geschehen weiter entwickeln wird. Jedoch sollte man keine friedliche Lösung der Schlacht erwarten, da die Opposition nicht den Wunsch hat aufzugeben. Ebenso gibt es keine Fortschritte auf der diplomatischen Front, und Friedensinitiativen des UN-Sicherheitsrates sind blockiert. In militärischer Hinsicht deutet alles darauf hin, dass die SAA und seine Verbündeten bereit sind, zu handeln. Die zweiwöchige humanitäre Pause gab den Zivilisten die Möglichkeit die Stadt zu verlassen. Beide Seiten nutzten sie, um sich auszuruhen, neu zu organisieren und sich auf die nächste Runde des Kampfes vorzubereiten. Das Ergebnis wird ein blutiger Abnutzungskampf sein, bei dem viele Menschen ihr Leben lassen werden und nur die Seite den Sieg davontragen wird, welche den Anstrengungen der Gegner am längsten standhält.

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