Die Stadt al-Bab befindet sich im nördlichen Teil des Gouvernements Aleppo (ca. 36 km nordöstlich von Aleppo Stadt, ca. 26 km südlich der Grenze zur Türkei) und ist unter Kontrolle des Islamischen Staat (IS). Seine strategische Bedeutung nahm zu, nachdem kurdische und Truppen der DKS (Demokratische Kräfte Syriens) die Stadt Manbidsch (Manbij) einnahmen, welche für 2,5 Jahre ein wichtiger Knotenpunkt des Islamischen Staat für den Transfer von Dschihadisten von der Türkei nach Syrien und umgekehrt war, sowie für Öl- und Waffenlieferungen.
Die Interessen der Parteien
Die Kurden wollen al-Bab unter ihre Kontrolle bringen, um das zersplittete Kanton Shahba zusammenzufügen (mit Verwaltungszentren von Tal Rifaat und Manbidsch), die kontrollierten Gebiete zu festigen und ein syrisches Kurdistan als unabhängiges Land oder eine breite Autonomie innerhalb der Arabischen Republik Syrien zu proklamieren. Die Türkei führt die Operation Schild des Euphrats von Richtung Norden her mit regulären türkischen Einheiten und der sogenannten Freien Syrischen Armee, kurz FSA, (Ahrar al-Scham, Sultan Murad Division, Jaysh al-Tahrir, Al-Mu’tasim Brigade, Harakat Nour al-Din al-Zenki, Hamza Division) sowie Luft- und Artillerieunterstützung von türkischem Territorium. Ihre wichtigste derzeitige Mission ist: die Verhinderung eines syrischen Kurdistan an den Grenzen der Türkei; Kontrolle der Transportkorridore in Nordsyrien; Die Schaffung einer Pufferzone im Norden Syriens unter Kontrolle der turkmenischen Minderheit. Die syrischen Regierungskräfte wollen das Gebiet wieder zurück unter die Kontrolle von Damaskus bringen.
Diese Ziele sind vollkommen transparent. Es ist entscheidend zu beachten, dass in unmittelbarer Zukunft die Syrisch-Arabische Armee (SAA) nicht in der Lage sein wird, sowohl die türkische Armee als auch die gut organisierten kurdischen Kräfte zu bekämpfen. Aus der türkischen Perspektive läuft die Verhinderung einer kurdischen Autonomie oder eines unabhängigen Staates dem nationalen Interesse entgegen. Es würde die ethnischen Spannungen in der Türkei verstärken und die bewaffnete Kampagne der türkischen Kurden eskalieren lassen. Einige Experten glauben, dass bereits mehrere mögliche Rahmenabkommen zwischen der Türkei und Syrien entworfen wurden, die den nördlichen Teil des Gouvernements Aleppo in türkische und syrische Einflusssphären aufteilen und gleichzeitig den de jure Status quo bewahren würden. Darüber hinaus ist die Türkei trotz ihres erheblichen militärischen Potenzials und ihrer Position entweder bereit oder gezwungen, mit Damaskus als gleichberechtigten Partner zu verhandeln.
Man darf die USA und ihre Verbündeten nicht außer Acht lassen. Washington kann der Türkei nicht garantieren, dass die Kurden kein syrisches Kurdistan proklamieren werden, da sie die Kurden nicht vollständig kontrollieren. Das Hohe Kurdische Komitee (Desteya Bilind a Kurd, DBK) gliedert sich zwischen dem Kurdischen Nationalrat (Encûmena Niştimanî ya Kurdî li Sûriyeyê, ENKS), welche eher aus den pro-amerikanischen irakischen Kurden bestehen und der PYD (Partiya Yekitîya Demokrat – Partei der Demokratischen Union), die für eine weitgehende Autonomie innerhalb des syrischen Staates, aber gegen eine vollständige Trennung sind. Was die USA angeht, sind diese Verbündeten der Vereinigten Staaten von der De-facto-Erpressung durch Erdogan empört, welcher die Flüchtlingssituation ausnutzt, um finanzielle Hilfen zu entlocken sowie eine EU-Visumfreiheit für Türken. Um die Position Erdogans zu schwächen, oder sollte dies scheitern, in der Türkei andere Kräfte in die Macht zu bringen, versuchten die USA und ihre westlichen Partner mit Unterstützung der türkischen Opposition, einen Staatsstreich durchzuführen. In dem Bewusstsein, dass der Westen nicht nur nicht bereit ist, ihn bei der Verfolgung der außenpolitischen Ziele zu unterstützen, sondern tatsächlich versucht, ihn durch jemanden formbareren zu ersetzen, war Erdogan gezwungen, seinen außenpolitischen Kurs zu ändern. Dazu gehörten die Normalisierung der Beziehungen zu Russland, welche ihm auf halbem Weg entgegenkamen. Russland entspannte langsam die Sanktionen, welche nach dem Abschuss einer russischen Su-24 durch die Türkei in Syrien verhängt wurden. Darüber hinaus haben die beiden Länder eine Vereinbarung betreffs der Gaspipeline Turkish Stream (auch Turkstream) unterzeichnet. Die Türkei wiederum milderte ihre Rhetorik gegenüber der syrischen Regierung ab. Betreffs al-Bab erklärteMevlüt Çavuşoğlu, der Außenminister der der Republik Türkei offiziell, dass die Operation “Schild des Euphrats den ganzen Weg bis nach al-Bab vorrücken wird. Die Region wird dann zur Sicherheitszone erklärt werden, damit die Menschen wieder zurückkehren können.” Es ist anzumerken, dass die SAA trotz der Bedeutung der Stadt für Damaskus nicht bereit ist, entgegen ständiger Spekulation vonseiten Pro-staatlicher Medien, die Stadt vom Islamischen Staat zu säubern. Der wichtigste Kampf ist in diesem Augenblick zwischen den Türken, den Kurden und dem Islamischen Staat.
Man muss sich jedoch an Erdogans Unbeständigkeit, an seinen Expansionismus und an den allgemeinen Stil der Außenpolitik der Türkei in der Vergangenheit erinnern. Niemand kann garantieren, dass die türkische Regierung, wenn al-Bab und ein Großteil des Gouvernements Aleppo erobert wird, diese ihre Unterstützung der Rebellen in anderen Teilen des Gouvernements nicht verstärken wird, indem sie die FSA und die “gemäßigten” als Deckmantel verwenden. Erdogan ist sich vollkommen bewusst, dass jeder, der Nordsyrien kontrolliert, den gesamten Nahen Osten beeinflusst. Am 22. November kündigte er an, dass die türkisch-geführten Kräfte, nachdem sie die Kontrolle über al-Bab erlangt haben, Manbidsch (eine weitere wichtige Stadt im Gouvernement Aleppo) von “kurdischen Militanten” befreien werden.
Aus diesem Grund verstärkte die syrische Regierung die Verteidigung des Luftwaffenstützpunkt Kuweyres und stationierte dort Luftabwehrsysteme, darunter das russische Panzir-S1.
Die aktuelle Situation
[Stand 23.11.2016] In den letzten Tagen waren kurdische YPG (Yekîneyên Parastina Gel – Volksverteidigungseinheiten) an den Flanken der vorrückenden türkischen Kräfte wirksam: Nordöstlich von al-Bab, Kämpfe in der Nähe von Qabasin, Südlich von Azaz, Kämpfe in der Nähe von Kafr Kashir. Am 21. November hatte sich die Situation um al-Bab selbst verändert: Der IS startete einen Angriff auf die FSA und eroberten Qudayran und Qabasin. Die YPG eroberte Sheikh Nasir, nordwestlich von al-Bab, von der FSA zurück. Trotz ihrer signifikanten zahlenmäßigen und technologischen Überlegenheit waren die türkischen Kräfte nicht in der Lage, al-Bab zu betreten, verloren sogar an Boden. Das türkische Kommando hat seine Fähigkeiten deutlich überschätzt, darunter die Moral der eigenen Einheiten und die Bereitschaft seiner Verbündeten, ihr Leben auf dem Schlachtfeld zu opfern.
Die FSA unterstützte die türkische Offensive gegen al-Bab. Dies ist auf die wachsende kurdische militärische Aktivität auf türkischen Flanken zurückzuführen. Darüber hinaus befinden sich die erfahrensten und leistungsfähigen Kräfte der FSA um Kafr Hamrah und Huraytan, westlich von Aleppo. Die schweren Verluste der türkischen Truppen und der FSA im Kampf gegen ISIS und Kurden sowie die geringe Widerstandsfähigkeit der FSA angesichts eines entschlossenen Feindes erschweren die Situation erheblich. So hat die türkische Armee grundsätzlich die Wahl, al-Bab zu erobern oder sich mit den Kurden zu befassen. Wenn auch nicht genügend Kräfte vorhanden sind, so haben sich die Türken darauf beschränkt, Schläge gegen kurdische Positionen durchzuführen. Man muss bedenken, dass die türkische Armee und FSA schnell Verstärkungen über die Straße Al-Rai-Al Bab aufbringen könnten. Was die SAA betrifft, so ist der Großteil seiner Kräfte im Gebiet unter Aleppo tätig. Es gibt Hinweise darauf, dass, wenn die SAA eine Offensive gegen al-Bab startet, sie in Richtung Dair Hafir (Dayr Ḥāfir) gestartet werden würde. Dies würde es ermöglichen, den Islamischen Staat in al-Bab vom Nachschub (Waffen, Munition, Verstärkungen) abzuschneiden und des Weiteren einer Rückzugsroute zu berauben.
Die Obigen können darauf hindeuten, dass es eine gewisse Koordination zwischen den kurdischen und den ISIS-Kommandanten gibt, gegen den Vorstoß der türkischen Truppen aus dem Norden. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass die Kurden und der Islamsiche Staat einfach versuchen, den Dreiwegekonflikt voll auszuschöpfen. Dennoch gibt es keine Kämpfe zwischen dem Kurden und dem IS auf Annäherung auf al-Bab. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Einheiten und Unterstützungsstrukturen des IS von al-Bab abgezogen werden. Stattdessen haben sich die Zusammenstöße zwischen den Türken und Kurden verstärkt, nachdem sie von der Türkei formell provoziert worden waren, als sie die Führer der FSA verlangten, dass die Afrin Kurden Tal Rifat aufgeben. Zuvor gab es einen Waffenstillstand, nachdem die Kurden ihren Vormarsch auf al-Bab stoppten und sich nicht von der Linie Al Rai-Dscharablus nach Süden bewegten. Die Eskalation geschah, nachdem die Türken und die FSA Dabik und Savran eroberten, was die al-Bab offensive auf die Tagesordnung setzte. Wenn man die Karte betrachtet, wird es offensichtlich, dass die türkischen Kräfte, die auf al-Bab vorrücken, einen Keil tief in den Kanton Shahba treiben. Diese Tatsache kann nicht nur Besorgnis unter den syrischen Kurden verursachen. Es gefährdet die künftige Vereinigung des Shahba-Kantons. Gleichzeitig finden sich die Türken in zwei kurdischen Enklaven gequetscht und die YPG befindet sich in guter Position, einen Angriff zu starten und die türkischen Kräfte zusammen mit denen des Islamsichen Staat in einen Kessel zu treiben. Die Situation entwickelt sich offenbar nicht zum Nutzen der Türkei.
Analysiert man die letzten 3 bis 6 Monate, gibt es wenig Zweifel, dass der Islamische Staat die Stadt schlussendlich verlassen und sich zurückziehen muss. Zum Beispiel aufgrund erheblicher Verstärkungen der türkischen Kräfte oder ein Vormarsch von frischen syrischen Kräften aus dem Süden. Dies wiederum wirft die Frage auf: mit welcher der Parteien in diesem Krieg ist ISIS am wenigsten unvereinbar? Aus der Sicht sind es die pro-türkischen Kräfte. Wenn dies der Fall ist, hindert sie nichts daran, dass sie die Stadt den Türken zu günstigen Konditionen überlassen. Der FSA konnte sogar einen Platz für Kämpfer finden, die die Stadt verlassen. Wenn die SAA zur Stadt durchbricht, könnte der IS die Stadt auch ihr überlassen.
Vorausgesetzt die syrische Regierung kündigt eine Amnestie für diejenigen an, die kapitulieren wollen, ohne wie in Aleppo Widerstand zu leisten und die Kommandeure des IS in al-Bab ihre Einheiten aufgeben, werden diese nur Kommandanten niedriger und mittlerer Ränge zurücklassen. Aber es scheint höchstwahrscheinlich, dass die SAA die Stadt mit Gewalt nehmen müsste. Das der IS die Stadt den Kurden übergeben sollte, ist weniger wahrscheinlich. Radikale Islamisten haben die Kurden in den von ihnen besetzten Gebieten nie verschont, sodass die Terroristen des IS wissen, dass sie sich nicht auf eine sanfte Behandlung durch den Feind verlassen können. Die situationsbedingte Einstellung der Kampfhandlungen zwischen dem Kurden und dem Islamischen Staat zeigt nur, das um die aktuellen operativen und taktischen Missionen zu erfüllen “der Zweck die Mittel heiligt”.
WEITERLESEN: DIE FESTUNG ALEPPO, DIE FESTUNG MOSSUL
Ich denke nicht das syrien einen Krieg gegen rojava mit Türkei gegen rojava führen wird