Ursprünglich erschienen bei Al-Masdar News, übersetzt von Frontberichte
Die ungefähre Chronologie der Ereignisse, die letztendlich zur Einnahme von Palmyra (Tadmur) durch den sogenannten „Islamischen Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) führten, wurde von einem Offizier der Tiger Forces der Syrisch-Arabischen Armee dargelegt, einem Mitglied der in Palmyra stationierten Gruppe, die zu der letzten Einheit gehören sollte, die die Stadt nach dem Fall verließ.
Die Anmerkungen des Offiziers können nachfolgend gelesen werden:
Tadmur. Samstag, 10. Dezember 2016. 8:00 Uhr.
Immer wieder eingehende russische Satellitenbilder, die über den bevorstehenden Angriff des Islamischen Staat alarmieren. Wir erhalten Warnungen über ISIS-Terroristen, die sich im Umkreis der Stadt sammeln. Die Luftstreitkräfte sind damit beschäftigt ISIS bei den Ölfeldern im Norden zu attackieren und haben nicht genügend Zeit, um zu reagieren.
Al-Sawamea Militärobjekt und Umgebung (Getreidesilos). Samstag, 10. Dezember 2016. 10:00 Uhr.
Der Punkt liegt 15 Kilometer östlich von Tadmor bei der Straße zwischen Al-Sukhnah – Tadmur.
Die Verteidigungstruppe der Stadt:
– «Military shield forces» (Freiwillige der Militärpolizei), «Al-Badiyah forces» (interne Sicherheitskräfte) bestehend aus mehreren Einheiten – «Al-Saeemah», «Zenoubia», «Heart of Syria» und «Al-Sheikh Suleiman». Etwa 1.800 Kämpfer insgesamt;
– Einheiten der 11. und 18. Panzerdivision, ausgestattet mit sechs 130 mm und sechs 122 mm Artilleriegeschützen, sieben «Grad» MLRS (Multiple Launch Rocket System) und zwölf Panzern.
– «Liwa Al-Fatemeyoun» (Afghanische Fatemeyoun Brigade) Kräfte, mit 1.200 Kämpfern und einiges an solide aussehender Militärausrüstung;
– Eine Einheit der Tiger Forces, etwa 150 Soldaten, verteidigt den schwächsten Punkt im Südosten der Stadt.
Vom Gipfel des Jabal Tar, wo sich ein Beobachtungsposten befand, wurden in sieben Kilometern östlich des Geländes der Getreidesilos zwei Autos und ein Panzer des Islamischen Staat entdeckt, welche sich entlang der Straße Al-Sukhnah bewegten.
Die Luftwaffe führte Luftangriffe durch und zerstörte die beiden Autos. Der Panzer bewegte sich weiter fort. Wie sich herausstellte, war es mit Sprengstoff beladen – vermutlich ein VBIED (Vehicle Borne Improvised Explosive Device) mit einem Gewicht von 10 Tonnen, in der Lage, alles in einem Radius von 400 Metern zu beschädigen.
Aus unbekannten Gründen war die Bedienungsmannschaft der «Konkurs» anti-tank guided weapon (ATGW) der 18. Division nicht in der Lage den Panzer zu zerstören. Als es ungefähr 200 Meter vor den Verteidigungspositionen war, wurde das gepanzerte Fahrzeug mit einem Anti-Panzer-Granatwerfer getroffen.
Dies würde eine massive Explosion verursachen. Soldaten gerieten in Panik und fingen an, sich von ihren Positionen zurückzuziehen. Danach beruhigte sich alles, als Terroristen sich anschickten, den Berg Jabal Tar anzugreifen.
Ohne einen ernsthaften Grund, begannen die Truppen ihre Positionen entlang der gesamten Front aufzugeben. Der Rückzug der «Al-Fatemeyoun Brigade» verursachte unter den anderen Stadtverteidigern Panik, vor allem, als diese sahen, wie schnell sich die afghanischen Kämpfer mit all ihren schweren Waffen und Ausrüstung zurückzogen. Anzumerken ist, dass sie sich Westwerts die Stadt verlassend zurückzogen, anstatt innerhalb dieser zu bleiben.
Darauf folgten die «Military shield forces» und die Einheiten der 18. Division. Andererseits zogen sich die Soldaten der 11. Division nach Tadmur zurück und errichteten am Stadtrand Verteidigungsstellungen. Unterdessen waren an der südöstlichen Flanke einzig die Kräfte von Oberst Sukheil, die Verteidiger des Flughafens und Truppen des Nachrichtendienstes der Luftwaffe (insgesamt etwa 100 Soldaten) verblieben.
Die Streitkräfte des Oberst Sukheil zerstreuten sich, indem sie vorübergehende Verteidigungspositionen an östlichen und südöstlichen Flanken errichteten.
Das Gebiet Jabal Tar. Samstag, 10. Dezember 2016. 11:00 Uhr.
Vom Jabal Tar überblickt man die Stadt Tadmur. Diejenigen, die ihn kontrollieren, kontrollieren Tadmur und die Straße, die zur Stadt führt. Normalerweise beginnt ISIS seine Angriffe mit Selbstmordattentätern, direkt gefolgt von Nahkampfangriffen der gegnerischen Partei, um so den Luftangriffen auszuweichen. Der Berg ist ein wichtiges Glied in der Verteidigung der Stadt. Ihn zu kontrollieren bedeutet, die Initiative zu besitzen. Die erste Garnison, die den Berg verteidigte, bestand aus 500 Soldaten der Tiger Forces. Doch an diesen Tag waren diese nur fast halb so stark, da einige Soldaten sich aufgrund einer 5-monatigen Verzögerung der Gehaltszahlung sich verzogen hatten.
Weiter gab es zwei Verteidigungspositionen mit Einheiten der 18. Division am Berg Jabal Antar.
Der Angriff auf Jabal Tar begann mit dem Beschuss durch die Terroristen mit auf vier Pick-ups montierten schweren Maschinengewehren. Diese Pick-ups deckten die Bewegungen von zwei Kampfpanzern, darüber hinaus beschoss ISIS die Positionen der Armee mit 130 mm Artilleriekanonen und 120 mm bzw. 82 mm Mörsern sowie „hell cannons“. Zu beachten ist, das Jabal Tal außer für diese zwei Panzer keine Panzerabwehrwaffen besaß die schnell mit direkten Treffern zerstört worden. Weiter verloren die Verteidiger ihre schweren Maschinengewehre 23 mm und 14 mm.
Folglich kämpften nur Infanteristen auf dem Berggipfel mit dem Feind von Angesicht zu Angesicht.
Die Soldaten waren trotz eigener Verluste in der Lage, die beiden Panzer mitsamt den begleitenden Kämpfern zu zerstören. Bis 17:00 Uhr wurde der Angriff endgültig abgewehrt. Die Armee verlor einige Punkte und die 18. Division zog sich zum Militärflughafen T-4 zurück. Die Tiger Forces widerstanden dem Angriff, trotz anhaltender Verluste (es gab viele verwundete, mehrere Märtyrer und ein paar von ISIS gefangengenommene). Für alle, die Fragen, wo die Luftstreitkräfte waren, sage ich: Luftstreitkräfte sind nicht in der Lage, Bodentruppen unter solchen Bedingungen zu unterstützen (Nahkampfangriff). Folglich war ihre Unterstützung darauf begrenzt, die Versorgungswege der Terroristen zu attackieren.
Tadmur. Samstag, 10. Dezember 2016, 17:00 Uhr.
Die Russen sprengten ein Munitionsdepot auf ihrer Militärbasis in Tadmur, bevor sie diese aufgaben. Der Himmel über der Stadt verwandelte sich in ein Feuerwerk-Festival, was unter den Zivilisten und dem in der Stadt stationierten Militärpersonal Panik verursachte. Als Folge wurde die Stadt vollständig evakuiert.
Tadmur. Samstag, 10. Dezember 2016. 18:00 Uhr.
Die Stadt ist leer. Keine Zivilisten, kein Militär, außer ein paar Einheiten Mukhabarat (Staatsschutz) und Polizei.
Der Chef der Sicherheitskräfte «Al-Badiyah», zusammen mit mehreren Offizieren, würde sich in seinem luxuriösen gepanzerten „Cadillac“ hin und her bewegen, um dem Oberkommando zu beweisen, dass er die Stadt nicht verlassen habe. Zur gleichen Zeit waren diese 2.500 Kämpfer des «Al-Badiyah» und «Military shield» nicht mehr in Tadmur, keiner von ihnen verteidigte die Stadt.
Nur Soldaten der 11. Division blieben, zusammen mit ihren Panzern.
Wir kontaktierten unseren Kommandanten, berichteten über die Situation und forderten sofortige Unterstützung. Oberst Sukheil befahl, die Positionen zu halten und sagte uns, dass Verstärkungen kommen.
Von allen anderen Kräften, die Tadmur verteidigen sollten – die 18. Division, die «Al-Badiyah forces», «Fatemeyoun Brigade» – blieb niemand außer dem Generalmajor Shawkat mit seinem »Cadillac« und zehn Offizieren und einem Pick-up-Truck mit einem montierten schweren Maschinengewehr.
Tadmur. Samstag, 10. Dezember 2016. 22:00 Uhr.
Keine Verstärkungen kamen.
Tadmur. Sonntag, 11. Dezember 2016. 00:00 Uhr.
Etwa 100 Kämpfer der «Fatemeyoun Brigade» und 70 Soldaten der 18. Division kehrten in die Stadt zurück. Die 11. Division wich niemals zurück und wir würdigen sie für ihren Mut und ihre Widerstandsfähigkeit.
Mit dem Zusammenfassen dieser Kräfte konnten wir die Verteidigungspositionen an der Ostflanke mehr oder weniger verstärken. Etwa 40 Soldaten positionierten sich entlang Straße Al-Sukhnah.
Tadmur. Sonntag, 11. Dezember 2016. 1:00 Uhr.
Eine Autobombe des Islamischen Staat schaffte es, sich an die Positionen der 11. Division an der Straße Al-Sukhnah heranzuschleichen. Panzer wurden beschädigt, mehrere Soldaten verwundet und getötet. Der Rest verblieb an ihren Posten, trotz allem, was gerade passiert war. Wir sendeten 60 Soldaten um den Stadtteil Al-Amariyah und einen gleichnamige Anhöhe zu verstärken, welche seit dem Morgen ohne Verteidigung war. Allerdings verloren wir das Areal des Lagerhauses 410 aufgrund der Unterbesetzung.
Tadmur. Sonntag, 11. Dezember 2016. 03:00 Uhr.
Der Befehlshaber kontaktierte uns, um die Situation zu klären. Wir danken dem Oberst dafür das wir in Kontakt blieben und nicht den Amtspersonen glaubte, die über die tatsächliche Situation vor Ort gelogen haben.
Aber das Areal des Lagerhauses 410 war leer und wir waren nicht in der Lage diesen wichtigen Punkt zu sichern. Noch einmal, aufgrund von Unterbesetzung.
Tadmur. Sonntag, 11. Dezember 2016. 9:00 Uhr.
ISIS begann mit einem gleichzeitigen Angriff auf Jabal Tar und dem Stadtteil Al-Amariyah. Während der Nacht infiltrierten Terroristen des Islamischen Staat, verkleidet als Militärs den Stadtteil, sicherten die Anhöhe Al-Amariyah und attackierten uns unversehens von hinten. Eine weitere Gruppe unterstützte diese aus dem Areal des Lagerhauses 410. Die Kontrolle über den Al-Amariyah-Berg gewährt die Kontrolle über die ganze Stadt. Von dort oben kann man auf alles schießen, was sich in den Straßen der Stadt bewegt.
Jabal Tar.
Mittlerweile attackierten vier Panzer und drei Pick-ups mit schweren Maschinengewehren die Positionen der Armee am Jabal Tar. Ihre Verteidigung wurde durch kaltes Wetter und Hunger geschwächt. Keine Verstärkungen kamen, nur falsche Versprechungen. Jabal Tar fiel, nachdem die Verteidigungstruppe getötet, verwundet oder als Kriegsgefangene genommen worden.
Tadmur. Sonntag, 11. Dezember 2016. 11.00 Uhr.
ISIS kontrolliert die Anhöhe Al-Amariyah, von wo aus ISIS alles was sich innerhalb der Stadt bewegt attackieren kann. Jabal Tar steht unter Kontrolle von ISIS.
Der Rest unserer Truppen wurde gezwungen sich zum südlichen Teil von Tadmur, den Positionen beim Tadmur Kreisverkehr und den Obstplantagen der Stadt zurückzuziehen.
Tadmur. Sonntag, 11. Dezember 2016. 13:00 Uhr
Das gesamte Militärpersonal, mit Ausnahme von etwa 200 Soldaten der Tiger Forces mit zwei Panzern und Maschinengewehren um den Rückzug der anderen zu decken, zog sich zum Verkehrsknotenpunkt Hayyan zurück. Außerdem hatten wir noch die Luxusautos der „Al-Badiyah“ Offiziere, die dem Oberkommando bewiesen, dass sie in der Stadt geblieben waren – aber leider ohne ihre Truppen. Wir positionierten uns zwischen den Obstgärten und dem Kreisverkehr.
Tadmur. Sonntag, 11. Dezember 2016. 14:00 Uhr.
Wir sind umgeben vom Islamischen Staat. Die Terroristen haben die vollständige Kontrolle über die Stadt und die Autobahn. Keine Möglichkeit zum Rückzug. Gott sei Dank haben wir immer noch den General und seine Offiziere mit den Luxusautos, die schließlich das Oberkommando kontaktiert haben und 6 Mi-28 Kampfhubschrauber herbeigerufen haben, um unseren Rückzug durch die Obstgärten zu decken. Sie gaben uns Deckung, sowohl von der rechten, als auch von der linken Flanke. Wir haben es geschafft, der Einkreisung zu entgehen.
Bei all diesen Ereignissen blieben zwei Journalisten, Bruder Eyad Al-Hussein und Bruder Omar Dirmama, mit mir in Kontakt und machten eine Chronologie der Ereignisse.
So sind Tadmur und die Umgebung gefallen.
Offizier der Tiger Forces der Syrisch-Arabischen Armee. 12. Dezember 2016