“Das wird sich alles sortieren” (II)

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Der russische Außenminister Sergej Lawrow

Der russische Außenminister Sergej Lawrow

Ursprünglich erschienen bei The Vineyard Saker – Deutsche Version

Foreign Minister Sergey Lavrov’s interview to Komsomolskaya Pravda, Moscow, May 31, 2016

Zum ersten Teil

K.P.: Ich habe von Anfang an im Donbass gearbeitet und das Referendum am 11. Mai miterlebt. Es ist schwer, den Leuten zu erklären, warum das Referendum auf der Krim anerkannt wurde, und die Referenden in Donezk und Lugansk nicht, die genauso fair und ernsthaft waren wie das auf der Krim, und in Gegenwart von Journalisten stattfanden.

Wir haben zu diesem Thema Anrufe gehabt:

Warum hat Russland dem Südosten der Ukraine weniger Aufmerksamkeit geschenkt? Ist der verwüstete Donbass nicht so gut wie die blühende Krim?

Ich rufe aus Donezk an. Gebt Donezk nicht auf. Das ist russisches Land, auf dem russische Leute leben. Wir erleben Not, und warten auf Eure Hilfe. Wir werden ohne sie nicht überleben. Bitte gebt uns nicht auf.

Warum gibt Russland keine Erklärung ab in dem Sinne, dass es, wenn die Ukraine weiterhin die Minsker Abkommen sabotiert, die Volksrepubliken Donezk und Lugansk öffentlich anerkennt und mit ihnen Verträge schließt, wie mit Abchasien und Südossetien?

S.L.: Zuerst, wir haben den Südosten der Ukraine nicht aufgegeben, und erinnern uns immer daran. Wir unterstützen ihn proaktiv, und nicht nur politisch. Diese Bemühungen umfassen humanitäre Hilfe, Initiativen, um wirtschaftliche Fragen zu lösen und um angemessene Lebensbedingungen sicher zu stellen, einschließlich solcher Themen, um die sich zu kümmern Frankreich und Deutschland versprochen hatten. Sie hatten angeboten, das Banksystem wieder herzustellen, konnten es aber nicht, und gaben das zu. Das zeigt nur, dass man Partnern vertrauen sollte, sich aber auf sich selbst verlassen. Russland ist beteiligt, dieses und andere Themen, die die Lebensbedingungen im Donbass betreffen, zu lösen, und wird dies weiterhin sein.

Unter den Bestimmungen der Minsker Vereinbarungen zum besonderen Status des Donbass ist das Recht auf direkte und unbeschränkte wirtschaftliche und andere Beziehungen mit der russischen Föderation. Das ist eine Schlüsselkomponente, die es Russland wie auch Donezk ermöglichte, die Minsker Vereinbarungen zu unterstützen.

Was die Referenden betrifft, Sie sind sich der Bedingungen bewusst, unter denen das Referendum auf der Krim gehalten wurde, und wie es in den Regionen Donezk und Lugansk stattfand. Nach dem Referendum im Donbass haben sich die Führer dieser selbsternannten Republiken nicht geweigert, einen Dialog mit Kiew zu führen. Es war dieser Dialog, der zum Minsker Paket führte.

K.P.: Sie (die Menschen im Donbass, A.d.Ü) haben von Unabhängigkeit geredet.

S.L.: Lassen Sie es mich wiederholen, sie haben sich nie geweigert, mit Kiew zu reden. Es stimmt, dass sie ihre Unabhängigkeit erklärten, während sie sagten, sie seien für Verhandlungen offen. Russland, Deutschland und Frankreich haben dieses Gespräch unterstützt, das den Weg zu den Minsker Vereinbarungen ebnete. Sie können die Tür zuschlagen und dem Beispiel jener folgen, die mit Anerkennung, Sanktionen und Ähnlichem drohen und unfähig sind, diplomatische und politische Werkzeuge zu gebrauchen. Das würde dem Westen den Vorwand liefern, den Druck auf Kiew zu beenden, selbst den sehr moderaten. Kiew ist unter Druck. Sie sind nicht scharf darauf, das öffentlich zu sagen, aber wenn sie mit den Ukrainern hinter verschlossenen Türen reden (das wissen wir sicher), dann fordern sie recht hart, dass alle Vereinbarungen, die in Minsk erreicht wurden, auch befolgt werden.

Ich denke, es ist sehr wichtig, sicher zu stellen, dass die Dokumente, die vom Sicherheitsrat unterzeichnet und gebilligt wurden, umgesetzt werden, selbst wenn das keinem anderen Zweck dient als dem der Disziplin. Wir sind in einer einzigartigen Situation. Es gibt im Moment keinen Weg, dieses Dokument durch irgend etwas in Frage zu stellen, und niemand versucht, ihm ein anderes Dokument entgegen zu setzen. Es kann nicht angefochten werden. Wenn wir jetzt sagen, unsere Geduld ist aufgebraucht, gehen wir einen anderen Weg, dann sagen sie nur: Gut, macht nur. In diesem Fall würde der Westen aufhören, Druck auf die ukrainischen Machthaber auszuüben.

Der Donbass ist nicht der einzige Grund, Druck auf die Ukraine auszuüben. Das Mandat der OSZE-Mission umfasst die gesamte Ukraine. Russland besteht regelmäßig darauf, dass die Mission nicht nur Berichte über den Donbass und die Demarkationslinie schreibt, sondern auch über andere ukrainische Regionen. Dort passieren schreckliche Dinge. Selbst wenn unsere OSZE-Kollegen die Dinge besser aussehen lassen, als sie sind, erkennen sie doch die Verletzung von Minderheitenrechten an, darunter der Ungarn, und die Durchdringung von Regionen wie Transkarpatien durch die Mafia. In vielen Fällen stehen Abgeordnete der Werchowna Rada hinter dem organisierten Verbrechen, wenn die Berichte das auch nicht erwähnen.

Aus diesem Grund müssen wir diesen rechtlichen und internationalen Rahmen erhalten und ihn auf jede denkbare Weise davor schützen, untergraben zu werden, von innen wie von außen.

K.P.: Ich würde gerne mit dem Maidan weitermachen. Ich habe acht Jahre in der Ukraine gearbeitet und habe mit eigenen Augen gesehen, wie sich die Ereignisse des Maidan entfalteten. Ich denke, was die russische Diplomatie betrifft, war es ein blankes Versagen. Schon im April 2013 haben wir in der Komsomolskaja Prawda geschrieben, dass die allgemeine Stimmung in Galizien war, in einen Krieg gegen Russland zu ziehen. Sie haben ihre Pläne nicht verheimlicht. Wir haben darüber geschrieben, aber niemand hat aufgepasst. Alle pro-russischen Beobachter, die damals in der Ukraine arbeiteten, sagten, es ist ihnen nicht gelungen, den russischen Botschafter in der Ukraine, Michail Surabow, in irgendeiner Weise zu beeinflussen oder sich nur mit ihm zu treffen. Treffen mit dem Botschafter wurden einmal im Jahr abgehalten, am 12. Juni, den Feiern zum Tag Russlands, üblicherweise begleitet von Wodka und Bier. Es gab keine anderen Gelegenheiten. Russland war nicht bereit, als der Maidan ausbrach, und hat in dieser Situation schlicht verloren. Wir haben viele Fragen erhalten, warum der russische Botschafter in der Ukraine, Michail Surabow, noch im Amt ist.

S.L.: Ich denke, das ist kein Thema, das öffentlich diskutiert werden sollte.

K.P.: Warum nicht? Es betrifft Russlands internationale Diplomatie.

S.L.: Botschafter Michail Surabow kann und wird dem russischen Außenministerium und der Staatsduma des russischen Bundesparlaments Bericht erstatten. Ich bin nicht sicher, ob ich den Kern Ihrer Frage verstehe.

K.P.: Was ich sagen will, ist, dass wir auf den Maidan nicht vorbereitet waren.

S.L.: Das ist es, wovon ich rede. Sie sagen, wir haben auf dem Maidan verloren. Wenn Sie sich dessen so sicher sind, und wenn oft gesagt wird, dass die russische Diplomatie versagt hat, welche Alternativen deuten Sie an? Was hätten wir tun sollen, wenn sich die Leute so sicher sind, dass das unser Versagen war?

K.P.: Die US-Botschaft war nicht knickrig bei der Propaganda gegen uns und hat Websites gezahlt, von denen jede ein paar Tausend Dollar kostet (Kleingeld für ein großes Land wie das unsere). Diese Sites haben unseren Ruf ein Jahrzehnt lang in die Tonne getreten. Die Amerikaner haben es nicht verborgen, dass sie 5 Milliarden Dollar für Propaganda gegen Russland und vermeintlich für die Redefreiheit ausgegeben haben. Unseren Botschaften fehlt allgemein die Initiative. Die Stimme eines amerikanischen Botschafters wird immer gehört, und die Stimme der Unsrigen ist immer stumm – mit einigen wenigen Ausnahmen. Ich kann Libanon als Beispiel anführen, wo der russische Botschafter Alexander Sasipkin großartige Arbeit leistet. Die Lage im Libanon hat sich dramatisch verändert, als er dort war, weil die Leute immer wieder seine Interviews hörten. Unsere Botschafter und unsere Botschaften sind wie Bunker; sie leben in ihrer eigenen kleinen Welt und kommen nicht heraus.

Oder ein anderes Beispiel. Der jetzige ukrainische Botschafter in Kroatien hat die dortigen Medien regelrecht „vergewaltigt“. Er bekam sogar eine Kolumne in einer Zeitung, in der er Russland täglich mit Dreck bewirft.

Unsere Leute melden sich nicht zu Wort. Wo sind sie? Warum verstecken sie sich? Warum bieten sie sich nicht für Interviews an? Das ist ein großes Problem. Ich arbeite in vielen verschiedenen Ländern und überall, wo ich hingehe, erzählt man mir von Versammlungen, die Alexander Puschkin und Pjotr Tschaikowskij gewidmet sind. Wer interessiert sich jetzt für die?

S.L.: Ich kann dem nicht zustimmen, denn Russlands Botschafter in den Vereinigten Staaten, im Libanon, dem Irak und Syrien, und Russlands Sondergesandte bei der UN in New York und beim UN-Büro in Genf sind nicht nur als Leute bekannt, die regelmäßig im Fernsehen auftauchen, sondern arbeiten extrem hart.

Sie sollten eines verstehen: auf den Titelseiten der Zeitungen, im Fernsehen und im Radio aufzutauchen ist bei weitem nicht Alles, was sie tun, und in den meisten Fällen ist es nicht der Hauptteil ihrer Arbeit. Sie haben erwähnt, für unterschiedliche Sites zu zahlen. Nun die US-Botschaft in Kiew hat nicht nur gezahlt, ein ganzes Stockwerk des Sicherheitsdienstes war mit Beschäftigten des FBI oder der CIA oder beider plus NSA besetzt und ist es noch.

Was war die Alternative? Sollten wir genauso Politikwissenschaftler bezahlen, um auf bestimmten Sites zu arbeiten? Als die Banditen auf dem Maidan auftauchten, forderten wir, sie sollten die ukrainische Verfassung beachten. Das wollten sie nicht, und das Ergebnis war eine Vereinbarung von Viktor Janukowitsch mit Oppositionsfiguren. Diese Vereinbarung wurde am 21. Februar unterzeichnet und beinhaltete tatsächlich, dass Janukowitsch seine präsidentiellen Rechte, Gewalt zu gebrauchen, aufgibt, und sein Gewaltmonopol, und frühen Wahlen zustimmt. Anders gesagt, wäre diese Vereinbarung umgesetzt worden, wäre er schon vor langer Zeit demokratisch entfernt worden (überflüssig zu erwähnen, dass er, wie jeder annimmt, nicht wiedergewählt worden wäre), und es wären ähnliche Leute an der Macht jetzt, aber ohne so viele Opfer und so viel Zerstörung. Was schlagen Sie vor? Als diese Banditen begannen, auf dem Maidan Exzesse zu begehen, hätten wir da Truppen schicken sollen oder was? Erklären Sie das bitte.

K.P.: Wir hielten alle Karten in den Händen.

S.L.: Was meinen Sie damit?

K.P.: Ein rechtmäßig gewählter Präsident ist nach Russland geflohen. In einem Land, das uns nahe steht, das unser Freund ist, fand ein Militärputsch statt. Der Präsident hat uns um Hilfe gebeten. Wir hatten jedes Recht, die Dinge unter Kontrolle zu bringen. Ein Haufen Banditen ergriff die Macht – das ist ein bewaffneter Putsch. Warum haben wir das nicht gemacht?

Ich sage Ihnen, warum – weil wir uns an eine Theorie staatlicher Souveränität klammern, die uns die Hände bindet. Die Amerikaner haben eine Theorie der humanitären Intervention entwickelt, die eine Verpflichtung, einzugreifen, nahe legt. Währenddessen reden wir weiter über Souveränität und haben uns damit schon in die Falle manövriert. Wir produzieren keine Ideologien. Wir haben genauso das Recht, zu intervenieren.

S.L.: Lassen wir doch den Jargon beiseite. Sagen Sie mir direkt, denken Sie, wir hätten Truppen schicken sollen?

K.P.: Ja, das hätten wir. Es war unsere Pflicht, uns einzumischen, durch humanitäre Intervention.

S.L.: Dem stimme ich nicht zu. Sie wollen Krieg zwischen den Russen und den Ukrainern?

K.P.: Das wäre kein Krieg.

S.L.: Krieg gegen die eigenen Leute betreiben die Leute, die der Putsch an die Spitze gebracht hat. Ich denke, dass Russen und Ukrainer ein Volk sind. Wenn Sie denken, wir sollten gegen unsere eigenen Leute Krieg führen, dann bin ich kategorisch anderer Meinung.

K.P.: Das wäre nicht Krieg führen, das wäre sich um eine Bande kümmern, die die Macht ergriffen hat.

S.L.: Nun, diese Bande hat die Unterstützung einer großen Zahl von Leuten, einige davon tragen Militäruniformen, andere nicht; es reicht, die Nationalbataillone zu erwähnen, was immer Sie von ihnen denken mögen. Das sind zehntausende solcher Leute. Also schlagen Sie vor, dass wir uns um Zehntausende Ukrainer ‘kümmern’?

K.P.: Sie haben erst Zehntausende, seit wir die Sache aufgegeben haben und die Dinge laufen ließen.

S.L.: Die Armee hat dem neuen Regime Treue geschworen, und das neue Regime hätte dieser Armee befehlen können, gegen die russische Armee zu kämpfen? Das ist eine scheußliche Idee, ich mag es mir nicht einmal vorstellen.

K.P.: Letzte Woche gab es Nachrichten, die viele unserer Leser und Zuhörer alarmiert haben, Nadeschda Sawtschenko betreffend. Leser fragten, was Sie von der Freilassung einer Kriminellen halten, die unsere Journalisten umgebracht hat. Sie denken, sie wird jede Möglichkeit wahrnehmen, Russland zu provozieren. Haben wir da richtig gehandelt?

S.L. Ich glaube, ja. Wir mussten unsere Bürger zurückbringen, und das haben wir. Es ist unsere prinzipielle Position, alle gegen alle zu tauschen, nicht nur in solchen Fällen wie dem von Sawtschenko und unseren Bürgern, sondern auch, das ist wichtiger, bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Ich denke, es sollte der Ukraine Kopfschmerzen bereiten, wenn Sawtschenko mit uns schmutzige Spielchen spielt (aber wer in der Ukraine spielt keine schmutzigen Spielchen mit uns? Es gibt praktisch keinen ukrainischen Politiker mehr, der normal mit uns redet).

K.P.: Das ist wahr.

S.L.: Sie ist eine sehr eigenartige Frau. Sie sieht wohlgenährt aus, was das angeht.Ich denke, jeder kann jetzt sehen, was ihre hysterischen Hungerstreiks wert waren. Sie will Präsidentin werden, gegen uns Krieg führen, und sie will noch etwas anderes.

K.P.: Währenddessen läuft sie überall barfuß herum.

K.P.: Alle Länder im Nahen Osten schauen genau auf die Konfrontation zwischen Russland und der Türkei. Örtliche politische Experten erinnern sich gut an Präsident Putins Warnung, sie kämen nicht „mit Tomaten davon“. Jetzt haben die Dinge eine unerwartete Wendung genommen. Vor einigen Tagen waren wir die ersten, die sagten, wir würden gerne Kontakte wieder aufnehmen. Das mag ja sehr christlich sein, aber was ist mit dem Prinzip „ein Auge für ein Auge und ein Zahn für einen Zahn“? Meine östlichen Freunde und Politikexperten fragen das Folgende. Sie waren nicht diejenigen, die den Krieg mit der Türkei angefangen haben, und Ihnen kann er nicht vorgeworfen werden. Die Sowjetunion hätte niemand ungestraft gelassen, der eines ihrer Flugzeuge abgeschossen hat. Warum sind die Russen jetzt die ersten, die den Olivenzweig anbieten? Orientalische Politikwissenschaftler sehen das als Demütigung Russlands durch den Islam.

S.L.: Setzten wir das nicht weiter fort. Das ist, wie ein Eigentor schießen. Sie oder Ihre Korrespondenten treffen Einschätzungen, die grundlegend unwahr sind, und ziehen dann, von ihrem eigenen Fehler ausgehend, Schlussfolgerungen, wie unsere Handlungen zu bewerten sind.

Wir haben nie gesagt, dass wir der Türkei einen Olivenzweig oder irgend etwas anderes anbieten. Warum sollten wir? Wir haben gesagt, dass die Türkei sich entschuldigen sollte, und die Verluste, die als Folge dieses kriminellen Akts, dieses Kriegsverbrechens entstanden sind, entschädigen. Als Präsident Putin gefragt wurde, ob die Türkei irgendwelche Schritte unternähme, sagte er, dass sie auf unterschiedlichen Kanälen Fortschritte machen.

K.P.: Sind wir bereit, die Beziehungen wieder herzustellen?

S.L.: Nein, Präsident Wladimir Putin hat gesagt, wir sind bereit, die Möglichkeit zu prüfen. Aber zuerst sollte die Türkei das tun, was sie tun muss. Aber warum reißen Sie das aus dem Zusammenhang?

Wenn sie nur eine Stimmung von Defätismus und Panik unter der russischen Führung sehen wollen, dann wird das eine schwierige Unterhaltung. Sehen Sie, man muss nicht beleidigend werden, um zu zeigen, dass man die Handlungen seines Partners missbilligt, und das ist es, was getan wurde. Und natürlich sind sie nicht mit einem Tomatenbann davon gekommen; da ist viel mehr. Also versuchen sie jetzt, über verschiedene sichere Kanäle mit uns Kontakt aufzunehmen und schlagen vor, dass bestimmte Komitees eingerichtet werden. Im Dezember, als mir der türkische Außenminister im Vorbeigehen bei der OSZE begegnete, schlug er vor, dass wir ein Komitee oder eine Gruppe einrichten, mit Diplomaten, Militärs, Experten und Geheimdienstoffizieren, und ich weiß nicht wer noch alles.

K.P.: Und haben sie in den letzten sechs Monaten irgendwelche Fortschritte gemacht?

S.L.: Natürlich nicht. Also bleibt unsere Haltung unverändert.

K.P.: Wir fordern drei Dinge – eine offizielle Entschuldigung, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, und Entschädigung für die Schäden, richtig?

S.L.: Natürlich.

K.P.: Was Syrien angeht, ich war in syrisch-Kurdistan. Die syrischen, irakischen und türkischen Kurden wollen wissen, ob Russland gekommen ist, um zu bleiben, oder ob dies ein zeitweiliger Einsatz ist. Sie wollen, dass Russland bleibt, damit sich ein zweites Machtzentrum im Nahen Osten bilden kann. Sind wir dort, um zu bleiben?

S.L.: Im Nahen Osten wurde schon ein Machtzentrum etabliert. Ich weiß nicht, ob das das zweite oder nicht vielleicht das erste Machtzentrum ist. Schauen Sie, die US-geführte Koalition, die manche als erstes Machtzentrum sehen, lässt einfach die Zeit verstreichen. Ich habe jüngst mit US-Außenminister John Kerry gesprochen und ihn gefragt, warum sie aufgehört haben, die Terroristen zu bombardieren, und warum sie keinen einzigen Kampfeinsatz geflogen haben, um den illegalen Öltransport in die Türkei zu verhindern.

K.P.: Und was hat er gesagt?

S.L.: Er sagte, sie täten es. Sie werden abermals von der fehlerhaften Sicht geleitet, dass Terroristen mit freundlichen Oppositionskräften gemischt sind, dass man diese freundliche Opposition treffen könnte, wenn man Terroristen angreift, und dass das vermieden werden müsste. Aber ich erinnerte ihn daran, dass sie uns Ende Februar zugesichert hätten, dass Einheiten, die sie als patriotisch und ihnen gegenüber loyal ansehen und mit denen sie zusammenarbeiten, sich aus den Stellungen wegbewegen, die durch Jabhat al-Nusra gehalten werden. Mehr als drei Monate sind vergangene, und nichts wurde getan. Sie haben uns jetzt um einige weitere Tage gebeten, ehe ihr Plan, nach dem jeder, der sich nicht der Waffenruhe angeschlossen hat, ein legitimes Ziel ist, gleich, ob sie als Terroristen gelistet sind oder nicht, in Aktion tritt. Sie haben um einige weitere Tage gebeten, um zu erwidern, und diese Tage enden diese Woche.

Zu diesem Moment ist die Koalition fast untätig, während Kämpfer und Ausrüstung weiter über die türkische Grenze kommen. Offensichtlich wird eine Offensive vorbereitet, die durch mehrere Vereinbarungen und durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrats untersagt ist. Sie erzählen uns, die sogenannten „guten“ Einheiten seien bereit, ihre Verletzungen der Waffenruhe zu beenden, aber dass zu diesem Zweck ein politischer Prozess begonnen werden müsse. Mitglieder einer Delegation, die vor allem durch türkische Unterstützung eingerichtet wurde – das sogenannte Hohe Verhandlungskomitee – sagen, sie könnten an den Gesprächen nicht teilnehmen, weil der syrische Präsident Bashar al-Assad nicht zurückgetreten sei. Diese Zirkusnummer schleppt sich schon lange hin.

Ich habe meinem Kollegen offen gesagt, dass sie, unserer Meinung nach, schlicht versuchen, uns an der Nase herumzuführen. Er schwört, dem sei nicht so, und dass die Militärbehörden zumindest anfangen würden, ihre Einsätze zu koordinieren. Ich wiederhole, wir haben ihnen bereits offen gesagt, dass uns das nicht passt, und dass wir diese Geschichten nicht länger anhören. Wir haben Verpflichtungen der rechtmäßigen syrischen Regierung gegenüber, wir sind auf ihre Einladung dort, und niemand hat die Koalition eingeladen. Die US-geführte Koalition wurde in den Irak eingeladen, und nicht nach Syrien. Aber die syrische Führung hat gesagt (und die USA wurden darüber informiert), dass sie, wenn die Koalition ihre Einsätze mit den russischen Luft-Raum-Kräften koordiniert, nicht offiziell protestieren werden und sie als unsere Partner im Kampf gegen Terrorismus betrachtet. Um ehrlich zu sein, dass ist die einzige, wenn auch zerbrechliche, rechtliche Grundlage für die Anwesenheit der Koalition.

Jeder gibt zu, dass der anfängliche russische Einsatz und seine ersten wenigen Monate die Lage drastisch verbessert haben. Die Türkei und unsere westlichen Kollegen wollen, dass diese Flut abbricht und , wenn möglich , sich wendet. Sie wollen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad nicht an der Macht bleiben sehen aus dem einfachen Grund, dass sie vor fünf Jahren gesagt haben, er müsse zurücktreten, und sie kümmern sich jetzt nicht um das syrische Volk. Aber jetzt verstehen alle, dass es keinen politischen Prozess ohne al-Assad geben wird. Die Resolution des UN-Sicherheitsrats und die verschiedenen Entscheidungen zu Syrien, die seit 2012 angenommen wurden, enthalten keine Forderung und keinen Hinweis, dass der syrische Präsident Bashar al-Assad zurücktreten müsse. Im Gegenteil sie sagen, das syrische Volk allein habe das Recht, über seine Zukunft zu entscheiden, und dass der politische Prozess alle Kräfte der syrischen Gesellschaft ohne Ausnahme umfassen müsse, einschließlich ethnischer, politischer Kräfte, religiöser Bekenntnisse und aller Oppositionsgruppen.

Vor zwei Monaten verkündete Präsident Putin eine Entscheidung, die russische Militärpräsenz in Syrien zu verkleinern, nachdem die Ziele, die darauf abzielten, den schrittweisen Zerfall des Staates, der auf die Einnahme von Damaskus durch Terroristen hinsteuerte, aufzuhalten, überwiegend erreicht wurden. Ich versichere Ihnen, es gibt genug Kräfte und Ressourcen im Land, um die jetzige terroristische Bedrohung zu neutralisieren. Wir kümmern uns um dieses Problem. Es ist nur wichtig, dass unsere US-Kollegen ihre Verantwortung verstehen. Ich glaube, dass wir sie gerade im Schwitzkasten haben. Aber es stimmt, es sind fähige, gerissene und ausweichende Leute.

Wenn Sie die Berichterstattung über den Einsatz der russischen Militäreinheiten dort sehen, sehen Sie, dass sie nicht nur ankamen, Zelte aufschlugen, ein bisschen herum schossen, ihre Zelte wieder einpackten und gingen. Das sollte Ihre Frage beantworten, ob wir gekommen sind, um zu bleiben, oder nicht.

K.P.: Ist also US-Außenminister John Kerry im Stande, Ihnen eine Antwort auf die Frage unseres Präsidenten zu geben: „Begreifen Sie jetzt, was Sie getan haben?“

S.L.: Wissen Sie, ich habe mit ihm viel darüber geredet. Der US-Außenminister John Kerry ist ein netter Mensch, um zu reden. Seit Januar hatten wir über 30 Telefonate und haben uns vier Mal persönlich getroffen. Ich bin mir sicher, es wird noch mehr Treffen und Telefonate geben,

Aber wenn wir die Möglichkeit haben, die Situation in Syrien zu diskutieren, besteht er darauf, dass jetzt etwas getan werden muss. Ich wiederum erinnere ihn an die Schritte, die bereits unternommen wurden: im Juni 2012 unterzeichneten die US-Außenministerin Hillary Clinton, europäische, chinesische, arabische und türkische Vertreter und ich das Genfer Kommuniqué. Das Dokument legt die Notwendigkeit nieder, einen politischen Übergangsprozess zu beginnen, um eine gemeinsame Struktur von Regierung und Opposition zu schaffen, die auf deren beidseitigem Konsens beruht. Dann brachte Russland dieses Papier zur Zustimmung in den UN-Sicherheitsrat ein, aber die Amerikaner weigerten sich, zuzustimmen, weil es keine Möglichkeit enthielt, die es ihnen erlaubte, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen oder Sanktionen gegen ihn zu verhängen, wenn er nicht geht. Ich fragte ihn: „Sollte das mit eingeschlossen werden? Wir haben sieben Stunden in Genf darüber diskutiert?!“ Dann haben die Amerikaner sich offen geweigert, dem Kommuniqué zuzustimmen. Ein Jahr später tauchte die Bedrohung der Chemiewaffen auf. Wir haben geholfen, die Situation zu lösen, und bestanden darauf, dass die Resolution, die den russisch-amerikanischen Plan etablierte, mit Zustimmung der syrischen Regierung, die chemischen Waffen zu entfernen und zu vernichten, einen Abschnitt enthalten solle, der dem Genfer Kommuniqué zustimmt. Jetzt sagen sie, Syriens Präsident Bashar al-Assad verletze das Kommuniqué. Das ist genau wie im Donbass – ein Prinzip des direkten Dialogs. Aber sie ziehen es vor, ihn zu vermeiden. Im Donbass weichen die Machthaber dem Dialog aus, während es hier die Opposition tut. So viel zu unseren westlichen Kollegen.

Während der Diskussionen mit dem US-Außenminister John Kerry frage ich ihn, warum sie die gleichen Fehler machen wie im Irak 2003. Er sagte, er sei damals Senator gewesen und habe dagegen gestimmt. Großartig, toll. Barack Obama hat auch dagegen gestimmt. Ja, Irak war ein Fehler. Und was ist mit Libyen? Das war unter Hillary Clinton und ebenfalls ein Fehler. Sie verletzten das Mandat des UN-Sicherheitsrats, das den Luftraum schloss, um Luftangriffe zu verhindern – aber sie haben das Land immer noch aus der Luft bombardiert und letztlich den libyschen Präsidenten Muammar Gaddafi brutal ermordet, gleich, was für ein Mensch er war. Auch das war ein Kriegsverbrechen. Und jetzt ist Libyen von Terroristen überschwemmt, die Militante bis Mali, der Zentralafrikanischen Republik und dem Tschad mit Waffen versorgen. Aber der Fehler, sagte Kerry, bestand nicht in der Verletzung des UN-Mandats, sondern daran, dass im Gefolge der Luftschläge keine Bodentruppen eingesetzt wurden, um die Lage zu konsolidieren und Terroristen zu unterdrücken. Ich erinnerte ihn daran, wie früher Truppen nach Afghanistan und in den Irak gebracht wurden, um Terroristen zu bekämpfen, und wie sie abziehen mussten und diese Länder im Chaos hinterließen; wie Schwanewsky sagen würde, wie eine Jungfrau in Nöten. Afghanistan und der Irak wurden in einer weit schlimmeren Lage hinterlassen: ersteres ist am Rande des Zerfalls, während letzteres vom Bürgerkrieg zerrissen wird. Die Amerikaner stimmen zu, dass es ein Fehler war, aber ziehen es vor, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Sie wollen, dass wir ihrer Agenda folgen, aber wir haben eine eigene Agenda in Syrien. Es ist klar, dass wir versuchen müssen, unsere Herangehensweise zu koordinieren und dabei zumindest etwas die Lehren zu respektieren, die uns die Geschichte erteilt hat.

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