Das russische Militär als Machtinstrument (II)

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Dieser Artikel erschien zuerst auf The Vineyard Saker – Deutsche Version

vom Saker

Assessing the Russian military as an instrument of power

Die wirkliche Bedeutung von A2AD

Die USA und die NATO sind sich dessen natürlich sehr bewusst. Und, typisch für sie, verbergen sie diese Realität hinter einer obskuren Abkürzung: A2AD, was für anti -access area denial (nicht-Zugang Gebietsverwehrung) steht. Nach US-Strategen planen Russland, China und sogar der Iran, A2AD-Strategien gegen die USA zu verwenden. Was das in normalem Englisch bedeutet, ist einfach: einige Länder dort draußen können sich tatsächlich wehren und verteidigen (daher der brennende Flugzeugträger auf dem Titel dieses Buches). Die Arroganz des Ganzen ist schlicht verblüffend: es ist ja nicht so, als würden sich die USA Sorgen um A2AD durch den Iran in Paraguay, durch Russland in Afrika oder gar durch China im Golf von Mexiko Sorgen machen. Nein, die USA machen sich Sorgen darüber, dass diese Länder ihre eigenen Grenzen verteidigen. Wirklich, wie können sie es wagen?

Zum Glück für die Welt kann Onkel Sam hier nur herumjammern, aber kann nicht viel dagegen tun, außer, diese Realitäten vor der Öffentlichkeit im Westen zu verbergen und die Gefahren zu übertünchen, wenn man sich unter der Abkürzung A2AD mit den falschen Ländern anlegt. Und das bringt mich wieder zur Ukraine.

Ein kurzer Blick auf die Karte mit den 1 000 km zeigt sofort, dass die Ukraine weit innerhalb der gedachten „Russkie-Land“-Zone liegt (nochmal, nehmt die 1 000 km nicht wörtlich, und denkt daran, das ist ein Maximum, ein paar hundert Kilometer sind weit realistischer). Das bedeutet ganz und gar nicht, dass Russland die Ukraine angreifen oder in sie einfallen wollte oder sollte (oder in die baltischen Staaten und Polen, was das betrifft), aber es bedeutet, dass ein solcher Einsatz durchaus im Bereich der russischen Fähigkeiten liegt (zumindest, wenn wir die öffentliche Meinung in Russland vergessen) und dass es einen wirklich enormen Aufwand benötigen würde, dagegenzuhalten, wozu niemand im Westen die Mittel besitzt.

In Wirklichkeit existiert diese Art Szenario nur in den verwirrten Geistern westlicher Propagandisten und in der künstlichen Welt der US-Denkfabriken, die ihr tägliches Brot damit verdienen, den Politikern angsteinflößende Märchen zu liefern (ein Beispiel dafür hier). Um sicher zu gehen, die Tatsache, dass beide Seiten gleichermaßen Langstreckenwaffen besitzen, auch nukleare, macht ein solches Szenario noch unwahrscheinlicher, außer, wir nähmen an, die Russen seien verrückt geworden und würden versuchen, die USA zum Einsatz von Atomwaffen zu zwingen. Das gegenteilige Szenario allerdings – die USA gehen das Risiko ein, Russland zum Einsatz seiner Atomwaffen zu zwingen – ist leider nicht ganz so unwahrscheinlich, vor allem, wenn die Neocons die völlige Kontrolle über das Weiße Haus übernehmen sollten. Der Unterschied? Die Russen wissen, dass sie weder unverwundbar noch unbesiegbar sind, die Amerikaner wissen es nicht. Darum ist es weit wahrscheinlicher, das die Letzteren einen Konflikt auslösen.

Ein ausgewachsener Krieg zwischen den USA und Russland wäre sehr verschieden von Allem, was hier beschrieben wurde: er würde eine Woche dauern, vielleicht zwei, er würde konventionelle wie nukleare Angriffe sowohl gegen die USA wie gegen Russland einschließen, und er würde vor allem mit den Waffen des nuklearen Patts ausgetragen, „Stiefel am Boden“ oder gepanzerte Kriegsführung würden in einem solchen Szenario kaum eine Rolle spielen.

Die Ukraine befindet sich tief in Russkie-Land

Also wenn die Russen in Syrien „nicht kommen“, dann sind sie in der Ukraine bereits dort. Ich rede hier nicht von der Lieferung von Ausrüstung (dem Wojentorg) oder von Freiwilligen (dem Nordwind), sondern von der Tatsache, dass die Ukraine und vor allem der Donbass so nahe an der russischen Grenze sind, dass es praktisch unmöglich wäre, sie den Russen zu verweigern, sollten sie beschließen, sie zu nehmen. Noch einmal, ich will hier nicht nahelegen, dass sie es wollen, nicht einmal, dass sie es sollten, sondern nur darauf hinweisen, dass all die heiße Luft des Regimes in Kiew über „Europa gegen die russischen Horden verteidigen“ oder „der NATO beibringen, wie man gegen die Russen kämpft“ absoluter Unsinn ist. Das gleiche gilt für das Geschwätz, den Ukronazis „tödliche Waffen“ zu liefern. Warum? Weil die Lage im Donbass extrem simpel ist: es ist höchst unwahrscheinlich, dass es den Ukronazis gelingen könnte, den Donbass zu übernehmen, aber, sollten sie es durch irgendein Wunder tun, würden sie von der russischen Armee zerstört. Putin hat es deutlich klargestellt, das er in der Ukraine zwar nicht militärisch eingreifen wird, aber er wird keinen Genozid in Noworossija zulassen. Tatsächlich hat schon an der Grenze eingesetzte russische Artillerie die Mittel, jede ukrainische Truppe, die nach Noworossija eindringt, zu zerstören. Das ist genau, was tatsächlich im Juli 2014 passiert ist, als ein einziger, zweiminütiger Feuerstoß aus russischen Mehrfachraketenwerfern zwei ukrainische mechanisierte Bataillone komplett zerstörte (zum ersten Mal in der Geschichte der Kriegsführung).

Wie ich schon oft geschrieben habe, alle Parteien des Konflikts wissen das, und das einzige wirkliche Ziel der Ukronazis ist es, eine russische Intervention im Donbass auszulösen, während die Russen versuchen, das durch verdeckte Unterstützung Noworossijas zu vermeiden. Das wars. So einfach ist das. Aber die Vorstellung, dass die Ukronazis je den Donbass in die Hände bekommen, oder gar die Krim, ist absolut lächerlich, da nicht einmal die vereinte Kraft der USA und der NATO das geschehen lassen kann.

Schlussfolgerung: Russland ist nicht die Sowjetunion und es ist nicht die USA

Es ist absolut faszinierend, wie schwer es vielen Leuten fällt, die scheinbar simple Tatsache, dass Russland keine UdSSR 2.0 ist, und auch keine USA mit umgekehrtem Vorzeichen, zu verstehen. Es ist daher absolut essentiell, immer wieder zu wiederholen, dass das Russland des Jahres 2016 keinerlei Absichten hat, ein Imperium zu werden, und nicht die Mittel, um zu einer globalen Herausforderung für die anglozionistische Hegemonie über unseren Planeten zu werden. Was will Russland also? Ganz einfach: Russland will ein souveränes und freies Land sein. Das war’s. Aber in einer Welt, die vom anglozionistischen Empire regiert wird, ist das schon eine Menge. Tatsächlich würde ich sagen, dass für die internationale Plutokratie, die das Empire regiert, diese Absicht Russlands völlig und kategorisch inakzeptabel ist., da es diesen russischen Wunsch als eine existenzielle Bedrohung für die USA und die ganze Neue Weltordnung sieht, die das Empire uns allen aufzwingen will. Sie haben damit, nebenbei, völlig recht.

Wenn es Russland erlaubt wird, sich vom Empire loszubrechen, dann bedeutet das das Ende des Projekts der globalen Dominanz für das Empire, da andere Länder unvermeidlich folgen werden. Nicht nur das, es würde das Empire auch der immensen russischen Ressourcen an Energie, Trinkwasser, strategischen Metallen etc. berauben. Wenn es Russland erlaubt wird, sich zu lösen, und damit erfolgreich zu sein, dann wird sich Europa unvermeidlich in Richtung Russland bewegen, aus objektiven ökonomischen und politischen Gründen. Jeder versteht das, und darum hat das herrschende eine Prozent die hysterischste ganz und gar russophobe Propagandakampagne in der westlichen Geschichte losgelassen. Also ja, Russland und das Empire befinden sich bereits im Krieg, in einem Krieg ums Überleben, bei dem nur eine Seite übrig bleibt, die andere aber ausgelöscht wird, zumindest in ihrer heutigen politischen Gestalt. Das ist jedoch eine neue Art Krieg, der zu etwa 80% auf dem Feld der Information, zu 15% auf dem der Wirtschaft und zu 5% auf dem militärischen ausgetragen wird. Darum ist die Sperrung des russischen Paralympics-Teams genauso wichtig wie die Lieferung US-amerikanischen und britischen Antiartillerieradars an die Nazi-Junta in Kiew.

Wenn Russland militärisch und wirtschaftlich dramatisch schwächer ist, als der von den USA angeführte Block aller Länder, die das Empire bilden, dann liegt Russland an der Informationsfront deutlich vorn. Es reicht, die ganzen hysterischen Anfälle westlicher Politiker zu RT zu sehen, um zu erkennen, dass sie sich sehr klar auf einem Gebiet bedroht fühlen, dass komplett zu beherrschen sie gewohnt sind: der Informationsoperation (auch als Propaganda bekannt).

Die Ziele Russlands sind sehr einfach:

a) militärisch: zu überleben (defensive Militärdoktrin)
b) ökonomisch: wirklich souverän zu werden (die 5. Kolonne von der Macht zu entfernen)
c) informationell: die politische und wirtschaftliche Basis des Empire zu delegitimieren
Das ist es schon. Anders als die großartigen Hoffnungen jener, die das russische Militär überall intervenieren sehen wollen, stimmen diese drei Ziele mit den tatsächlichen Fähigkeiten und Mitteln Russlands überein.

Man kann keinen Krieg gewinnen, indem man sich auf die Art der Kriegsführung einlässt, bei der der Gegner überragend ist. Man muss ihm jene Art der Kriegsführung aufzwingen, bei der man selbst ihn übertrifft. Wenn Russland versuchen würde, die USA durch US-Verhalten zu übertreffen, würde es unvermeidlich verlieren, also hat es entschieden, anders zu sein, um zu siegen.

Es gibt noch immer viele dort draußen, die Sehnsucht nach den „guten alten Tagen“ des Kalten Krieges verspüren, als jede Bewegung gegen die USA, Partei, Regime oder Aufstand automatisch die Unterstützung der UdSSR erhielt. Das sind Leute, die es tief bedauern, dass Russland die Ukraine nicht von der Nazi-Junta befreit hat, die Russland Vorwürfe machen, in Syrien den USA nicht entgegenzutreten, und die verblüfft, wenn nicht angewidert von der scheinbar innigen Beziehung zwischen Moskau und Tel Aviv sind. Ich verstehe diese Leute, zumindest teilweise, aber ich sehe auch, was sie offenbar nicht wahrnehmen wollen: Russland ist immer noch deutlich schwächer als das anglozionistische Empire, und darum wird Russland einen schlechten Frieden immer einem guten Krieg vorziehen. Außerdem ist es nicht so, dass eine lange Schlange von Ländern darauf wartet, Russland zu verteidigen, wenn seine Interessen berührt werden. Weiß irgendwer, welche Länder Abchasien und Südossetien anerkannt haben? Die Antwort lautet: Nicaragua, Venezuela und Nauru! Richtig, nicht einmal Kasachstan oder Syrien… sind Freundschaft und Partnerschaft nicht eine Straße mit zwei Richtungen?

In Wahrheit schuldet Russland niemandem irgendwas. Aber, noch wichtiger, Russland hat schlicht nicht die Mittel, um sich in ein weltweites Nullsummenspiel gegen das anglozionistische Empire zu begeben. Seit Wladimir Putin an der Macht ist, hat er beinahe ein Wunder vollbracht: er hat Russland zu einem semi-souveränen Staat gemacht. Ja, ich schreibe semi-souverän, weil Russland zwar militärisch sicher ist, wirtschaftlich aber dem anglozionistischen Empire unterworfen bleibt. Verglichen mit dem Empire ist seine Wirtschaft klein und seine Streitkräfte nur im Stande, das russische Heimatland zu verteidigen. Und doch, so, wie das winzige russische Kontingent in Khmeimim Ergebnisse erzielt hat, die die Erwartungen weit übertroffen haben, so ist Russland immer noch die einzige Macht auf dem Planeten, die es offen wagt, dem anglozionistischen Hegemon mit „njet“ zu antworten und seine Legitimität und seine sogenannten „Werte“ offen herauszufordern und sogar dem Gelächter preiszugeben.

Der Krieg zwischen dem Empire und Russland wird ein langer sein, und sein Ergebnis noch viele Jahre lang ungewiss, aber, wie das russische Sprichwort sagt, „Russland beginnt keine Kriege, es beendet sie.“ Das Papsttum hat tausend Jahre lang gegen Russland gekämpft. Die Kreuzzügler etwa ein Jahrhundert. Königin Viktoria, Napoleon III. und Abdülmecid I (was ich die „ökumenische Koalition gegen Russland“ nenne) etwa drei Jahre. Kaiser Wilhelm II ebenfalls drei Jahre. Die Trotzkisten ein Jahrzehnt. Hitler vier Jahre. Die jüdischen Gangster (auch als „Oligarchen“ bekannt) neun Jahre lang. Und ja, sie alle wurden irgendwann geschlagen, selbst nach vorübergehenden Siegen, aber jedes mal zahlte Russland einen enormen Preis an Leid und Blut. Diesmal hat die russische Führung eine andere Strategie gewählt, sie versuchen ihr Möglichstes, dem Westen keinen Vorwand für eine ausgewachsene militärische Konfrontation zu geben. Bisher war diese Strategie erfolgreich, und abgesehen von zwei terroristischen Angriffen (in Ägypten und Syrien) und einer zwei Jahre währenden Rezession (die offenkundig bald endet) musste Russland nicht den schrecklichen Preis zahlen, den Länder, die mit dem Westen im Krieg sind, üblicherweise zahlen mussten. Es wäre trügerisch, zu erwarten, dass die Russen zu diesem Zeitpunkt ihren Kurs ändern, vor allem, da inzwischen die Zeit klar auf russischer Seite ist. Man schaue sich nur die ganzen Probleme an, die die Feinde Russlands haben, zu denen es nichts beitragen musste: die USA und die EU befinden sich beide in einer tiefen und möglicherweise zerstörerischen politischen Krise, die USA sitzen auf einer wirtschaftlichen Zeitbombe, während die EU wörtlich implodiert. Die Ukraine hat sich zu einem Lehrbuchfall eines gescheiterten Staats entwickelt und wird vermutlich auseinanderbrechen, während die Türkei die schlimmste Krise seit ihrer Gründung erlebt. Und jeder Tag, der verstreicht, verschlechtert die Aussichten für das Empire. Das erinnert mich an den Monolog von Captain Willard im Film „Apocalypse Now“: „Ich bin hier jetzt eine Woche… warte auf einen Einsatz… werde weicher. Jede Minute, die ich in diesem Raum bleibe, werde ich schwächer, und jede Minute, die Charlie im Busch hockt, wird er stärker. Jedes mal, wenn ich mich umsehe, sind die Wände ein bisschen näher gerückt.“ Ersetze Charlie durch Iwan und den Dschungel durch die Taiga, und man erhält ein ziemlich gutes Bild von der Dynamik, die gerade abläuft: jeden Tag rücken die Wände des Empire ein Stück näher, während die Anglozionisten keinen Schimmer haben, wie sie das aufhalten könnten.

Fazit

In der internationalen Politik ist es, wie auf vielen anderen Gebieten, besser, niemals nie zu sagen. Also werde ich nur sagen, dass es extrem unwahrscheinlich ist, die russischen Streitkräfte bei einem offensiven Einsatz zu sehen. Russland wird auch einen wichtigen Partner nicht „um jeden Preis“ verteidigen. Die Hauptaufgabe und die militärische Haltung der russischen Streitkräfte bleiben grundlegend defensiv, und auch wenn Russland seine Streitkräfte zur Unterstützung eines politischen Ziels nutzen kann, oder um einem Verbündeten zu helfen, wird es das extrem vorsichtig tun, und nicht zulassen, dass dieser Einsatz zu einem regionalen Krieg eskaliert, noch weniger zu einem direkten Krieg gegen das Empire.

Anders als im Westen, in dem ein möglicher Krieg gegen Russland fast nie diskutiert wird (und wenn doch, dann auf absolut lächerliche Weise), werden die Aussichten eines Krieges mit dem Westen in den russischen Medien beinahe täglich diskutiert, auch in den wichtigen, staatsfinanzierten Fernsehsendern. Und die russischen Streitkräfte befassen sich mit einer enormen Wiederbewaffnungs- und Ausbildungsprogramm, das bis jetzt etwa zur Hälfte abgeschlossen ist. Das sind alles deutliche Zeichen, dass sich Russland sehr intensiv auf einen Krieg vorbereitet. Sollten die Neocons, die „Irren im Keller“, einen Krieg anzetteln, werden sie Russland bereit finden, militärisch und psychologisch, um zu kämpfen und zu siegen, zu welchem Preis auch immer. Aber Russland wird nie wieder freiwillig die Rolle des globalen Agenten gegen die USA spielen oder seine Streitkräfte einsetzen, wenn es eine gangbare Alternative zu diesem Einsatz gibt. Also, nein, ganz sicher, die Russen kommen nicht.

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