Das Problem mit dem Kurzzeit-Gedächtnis der „Syrischen Demokratischen Kräfte“

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Die politische und militärische Führung der kurdisch dominierten „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) scheint sich seit dem Abzug der US-Truppen aus dem Norden Syriens und dem Beginn der türkischen Operation Peace Spring in einer unsicheren Situation zu befinden. Seit Beginn der US-Invasion in Syrien waren kurdische bewaffnete Milizen, vor allem die „People’s Protection Units“ (YPG), auf ausländische Hilfe angewiesen, um die ISIS-Offensive abzuwehren und die eigene Kontrolle auf Nord- und Ostsyrien auszudehnen. Die militärische, politische und finanzielle Unterstützung der USA ließ die kurdischen Führer schlussfolgern, dass kurdische bewaffnete Gruppen eine Art “integraler” Bestandteil der Strategie Washingtons seien und dass sie deshalb ein Stimmrecht hätten, um unter dem Schutz der USA über ihre eigene Zukunft zu entscheiden. Diese Illusion bestimmte die Haltung der YPG-SDF im Hinblick auf eine Zusammenarbeit mit der Regierung von Damaskus und ihren Verbündeten.

Von Januar bis März 2018 wurden die Streitkräfte der YPG in Afrin von der türkischen Armee und pro-türkischen bewaffneten Gruppen geschlagen und mussten sich auf syrische Armeepositionen in der Nähe von Aleppo zurückziehen. Vor der türkischen Operation Olive Branch lehnten die Führer der YPG erneut syrisch-russische Vorschläge ab, ihren Status zu klären und sich wieder in den syrischen Staat zu integrieren. Stattdessen baten sie immer wieder die USA und die sogenannte “internationale Gemeinschaft” um Hilfe – Hilfe, die nicht verfügbar war.

Exakt diese Vorgehensweise führte zum Beginn der türkischen Operation Peace Spring im Nordosten Syriens im Jahr 2019. Am 19. Januar stellte die sogenannte Autonome Verwaltung Ostsyriens, ein politisches Gremium, das von der SDF / YPG zur Verwaltung der eroberten Gebiete eingesetzt worden war, ein de facto Ultimatum an die Regierung von Damaskus. Neben formellen Floskeln über die Notwendigkeit der Wahrung der Einheit des syrischen Staatsgebietes und der Gewährleistung der Rechte von Minderheiten, enthielt die 10-Punkte-Liste Forderungen wie:

  • die autonome Verwaltung als einen rechtmäßigen Bestandteil des syrischen politischen Systems zu akzeptieren;
  • Garantie einer Vertretung der autonomen Verwaltung im syrischen Parlament;
  • Verwendung der Flagge der autonomen Verwaltung neben der Flagge Syriens;
  • Genehmigung einer unabhängigen Außenpolitik der autonomen Verwaltung;
  • Kontrolle der syrischen Grenze durch SDF-Verbände;
  • den SDF-Sicherheitsdienst „Asayish“ als alleinige Sicherheitskraft im Nordosten Syriens einzusetzen;
  • “den syrischen Reichtum auf gerechte Weise an alle syrischen Regionen zu verteilen.”

Zusammenfassend forderte die SDF von Damaskus die formalrechtliche Anerkennung eines de-facto unabhängigen, von den USA unterstützten Pseudostaates samt eigener Streitkräfte und seine Finanzierung aus dem syrischen Staatshaushalt. Dieses Verhalten untergrub alle Anstrengungen von Damaskus, einen wirklichen politischen Dialog zur Beilegung der Differenzen zu initiieren, während die SDF vor dem Hintergrund konkreter Vorbereitungen der Türkei auf eine weitere Militäraktion im Nordosten Syriens mehr und mehr abhängig von den USA wurde. Als sich die US-Truppen zurückgezogen hatten und die türkische Armee die Grenze überquerte, gab es niemanden mehr, der die Kurden hätte beschützten können. Präsident Donald Trump goss zusätzliches Öl ins Feuer, indem er den Kurden anriet, sich, falls sie den weiteren Schutz der USA wünschten, auf Ölgebiete zurückzuziehen, deren Rückeroberung die Regierung als eine ihrer Hauptprioritäten ansieht.

Deshalb beeilten sich die SDF-Führer, ein Schutzabkommen mit Damaskus und Russland zu erzielen. Entlang der Grenze und der Autobahn M4 wurden syrische Armeeverbände und russische Militärpolizei stationiert, die die Türken auf das Gebiet eingrenzten, welches diese bis dahin bereits erobert hatten. In der Folge handelte Moskau mit Ankara ein Sicherheitszonenabkommen aus. Die türkische Armee beschränkte ihre Aktionen auf den vorgenannten Grenzabschnitt. Die so entkommenen SDF-Einheiten räumten schließlich an der türkischen Grenze einen 30 km tiefen Abschnitt.

Trotzdem beharren die SDF und ihre politischen Vertreter weiterhin darauf, dass das Abkommen mit Damaskus lediglich ein Sicherheitsabkommen sei, dessen politische Bedingungen erst noch ausgehandelt werden müssten. Die Gruppe äußerte weiterhin die Hoffnung, den Dialog mit den USA wieder auf jenes Niveau heben zu können, welches es vor dem Truppenabzug hatte. Die SDF wies schließlich sogar Angebote des syrischen Verteidigungs- und Innenministeriums zurück, wonach SDF-Mitglieder ihren rechtlichen Status innerhalb des syrischen Staates festlegen und der Armee beitreten könnten, falls sie dies wünschten. Die SDF gab an, keinerlei Vereinbarung zu akzeptieren, die die “Privatsphäre und Struktur” der Gruppe nicht “anerkennen und bewahren” würde. Diese Haltung zeigt, dass zumindest ein Teil der kurdischen Führung von den Vorgängen in Afrika und im Nordosten Syriens bislang wenig gelernt hat und glaubt, in der Position zu sein, die Sprache von Ultimaten verwenden zu können. Die Beteiligung kurdischer Führer an von den USA durchgeführten Ölschmuggeloperationen spielt ebenfalls eine Rolle. Es ist wahrscheinlich, dass sie auf die Profite aus ihrer illegalen Zusammenarbeit mit der ausländischen Macht bei der Plünderung syrischer Bodenschätze nicht verzichten wollen.

All diese Faktoren erhöhen die Instabilität im Nordosten Syriens und erschweren eine weitere Deeskalation der Gesamtlage. Entwicklungen südlich von Ras al-Ayn, bei denen es kürzlich zu Gefechten zwischen kurdischen und türkisch unterstützten Milizen gekommen ist, sind eine direkte Folge mangelnder Koordinierung bei der Umsetzung des Sicherheitszonenabkommens und des aggressiven Gebarens beider Seiten.

Dennoch wird die SDF mit Damaskus eine Art politischer Übereinkunft treffen müssen, denn die schwerwiegendste und wahrscheinlichste Alternative bestünde andererseits in einer Wiederaufnahme der türkischen Militäroffensive.

Die unter dem Namen SDF operierenden kurdischen bewaffneten Milizen haben in jüngster Vergangenheit Verrat an der syrischen Nation ausgeübt. In seiner dunkelsten Stunde verließen sie Syrien und schlossen einen Pakt mit den USA, genau jener ausländischen Macht, die die territoriale Integrität des Landes untergraben will, und unterstützten damit in dieser Phase des Konflikts die Aktionen von Al-Qaida in Syrien. Es kam wie es kommen musste – die SDF hatte die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen. Washington ließ seinen Vasallen fallen, als es für die USA von höherem Wert war, die Türkei bei ihrer Offensive zu unterstützen, als irgendwelche Kurden zu schützen.

Die USA werden nicht aus Syrien abrücken während die Linie der SDF erneut befürchten lässt, dass sie bereit sein könnte, ihre Loyalität für amerikanische Dollars zu verkaufen, sobald ein entsprechender Vorschlag im Raum steht. Wenn jedoch ein solches Angebot gemacht und die SDF die Aussöhnung mit Damaskus sabotieren würde, welche Garantie gäbe es dann, dass die USA sie nicht noch einmal fallenlassen würde?

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