Exklusiv: Die neue Anschuldigung zu einer russischen Mittäterschaft beim Abschuss der malaysischen MH17 basieren auf ukrainischen Geheimdienstmitschnitten. Diese wurden selektiv interpretiert und widersprechende Information wurde ignoriert, schreibt Robert Parry
Dieser Artikel erschien zuerst auf Consortiumnews – Übersetzung von FritztheCat
Von Robert Parry
Die zentrale Schlussfolgerung der von Holland geführten Untersuchung, Russland sei an dem Abschuss 2014 des malaysischen Passagierjets Flug Nummer 17 beteiligt gewesen, verließ sich stark auf kryptische Telefonmitschnitte, die der ukrainische Geheimdienst zur Verfügung stellte und denen eine belastende Bedeutung zugeschrieben wurde, die aber von dem Gesagten nicht eindeutig untermauert wird.
Die Ermittler haben anscheinend auch andere Mitschnitte ignoriert die nicht zu ihren Schlussfolgerungen passen. Einschließlich einer Unterhaltung, die sich wohl auf einen ukrainischen Konvoi bezieht, nicht auf einen von den ethnisch russischen Rebellen. Der sich dem Flughafen von Lugansk näherte und ukrainische Truppen tief in Rebellengebiet brachte.
Diese Unterhaltung war eine von fünf Unterhaltungen, die das Joint Investigation Team (JIT) veröffentlichte, um Personen mit Verbindung zum MH17-Abschuss mit Hilfe der Öffentlichkeit zu identifizieren. Die Gesprächspartner reden anscheinend über Informationen aus Moskau bezüglich der Bewegung eines Konvois. Aber sie beschreiben ihn als einen „Ukrops“, oder ukrainischen Truppenkonvoi.
B: „Ich rede über die Bestätigung des Konvois, der in Richtung Flughafen fährt … Moskau hat das bestätigt … sie sehen ihn. Ist es äh … was ist es … ein Ukrops Konvoi?“
A: „Der Konvoi der in Richtung Flughafen fährt? Ja.“
B: „Und wie kam er da durch?“
A: „Höchstwahrscheinlich durch Sabovka.“
Das JIT interpretiert das als den Ort Sabivka, etwa fünf Meilen westlich von Lugansk und etwa 92 Meilen nordöstlich von Donezk, den zwei Hochburgen der Rebellen. Der Flughafen Lugansk liegt etwa 20 Meilen südlich der Stadtmitte.
Mit anderen Worten: Wenn der Mitschnitt des JIT korrekt ist, dann agierte das ukrainische Militär in der Nähe der Schnellstraße, die die vermeintliche russische Buk-Batterie genommen haben soll. Die Konversation geht weiter, es ist die Rede von einem möglichen Kampf um den Flughafen.
B: „Der Konvoi wurde also bestätigt. Von wo kann er gekommen sein?“
C: „Ich weiß nicht wo er herkam. Aus dem Westen, oder?“
B: „Er muss ja irgendwie von Westen gekommen sein. Vom Westen. Nur beschissene eineinhalb Kilometer vom Flughafen weg.“
C: „Vom Flughafen?“
B: „Ja.“
C: Er kann nicht eineinhalb Kilometer vom Flughafen weg sein, denn da sind dicht besiedelte Gebiete, da sind Stellungen. Vielleicht … ich weiß nicht. Ich werde mal was versuchen … Ich glaube wir werden bald Informationen erhalten … unsere Gruppen sind auf dem Weg.“
B: „Aha.“
C: „Gut. Nun, wenn sie zum Flughafen kommen, dann kämpfen sie am Flughafen. Was sollen wir sonst machen?“
B: „OK, verstanden.“
Wenn es auch schwer ist, genau zu verstehen worüber diese Anrufer diskutieren: Die Unterhaltung scheint sich um eine mögliche Schlacht am Flughafen zu drehen, nicht um die Stationierung eines Buk Raketensystems.
Und falls ukrainische Kräfte so tief in Rebellengebiet vorgedrungen sind, dann kann man auch schwerlich ausschließen, dass sich eine ukrainische Buk-Batterie entlang der südlichen Route H-21 bewegt haben könnte. Sie streift Donezk und geht dann Richtung Osten, dorthin wo das JIT behauptet, dass sich in der Nähe von Pervomaiskyi der Startplatz der Rakete befand. Die H-21 dreht dann Richtung Norden zum Flughafen und der Stadt Lugansk.
Die ukrainischen Buks
Der Videobericht des JIT zum Fall MH17, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, hat auch die Frage nicht diskutiert, wo sich die ukrainischen Buk-Raketen-Batterien befanden, die sich laut holländischer (sprich NATO) Geheimdienste am 17. Juli 2014 in der Ostukraine befanden. Jener Tag, an dem MH17 abgeschossen wurde. Eine Einschätzung des holländischen Geheimdiensts MIVD vom letzten Oktober besagt, dass die einzigen wirkmächtigen Fliegerabwehr-Raketensysteme zu jener Zeit in der Ostukraine, die in der Lage sind, MH17 aus 10km Höhe vom Himmel zu holen und 298 Menschen zu töten, dem ukrainischen Militär gehörten, und nicht den Rebellen.
Obwohl die Positionierung der ukrainischen Buk-Systeme für die Untersuchung von größter Bedeutung wäre – zumindest zum Ausschließen anderer Verdächtiger – handelt das JIT unter einem Abkommen, das es der ukrainischen Regierung erlaubt, die Herausgabe von Informationen zu blockieren. Der ukrainische Geheimdienst SBU, der im JIT die Kiewer Regierung vertritt, hat unter anderem die Verpflichtung, geheime Informationen zu schützen, die für die Ukraine von Nachteil wären.
Bezüglich der Behauptung des JIT, dass das Buk Raketensystem aus russischem Gebiet kam, sagt das Video: „Alle vom Untersuchungsteam untersuchten Telekommunikationsdaten und abgehörten Telefonate zeigen, dass das Buk/TELAR (das eigenständige Operationssystem) aus der russischen Föderation in die Ukraine gebracht wurde.“
Aber als Beweis zitiert das JIT einen Telefonmitschnitt, in dem – gemäß der Übersetzung des JIT – das Wort „Buk“ gar nicht benutzt wurde. Er weist zwar auf einen Ausrüstungsgegenstand hin, der sich selbständig bewegen kann oder auf einem LKW transportiert werden kann. Das könnte ein Buk-System sein, aber das könnten auch viele andere Waffensysteme sein.
In dem abgehörten Telefonat sagt ein Teilnehmer: „Es hat, es hat die Linie überschritten.“ Der Sprecher in dem JIT-Video fügt dann hinzu: „Das Buk/TELAR hat die Linie überschritten, mit anderen Worten, es hat die Grenze überschritten.“ Aber hier gibt es gleich zwei Mutmaßungen: Dass die nicht identifizierte Waffe eine Buk sei und dass „Linie“ gleich Grenze sei. Das könnte so sein, aber es sind auch andere Interpretationen möglich.
Ein weiterer Hauptpunkt, der umstrittene Ort des sogenannten „Getaway“ Videos eines Buk Raketensystems mit einer fehlenden Rakete, wird einfach als Fakt dargestellt, ohne eine Erklärung, wie das JIT zu dem Schluss kam, dass es nahe dem Ort Lugansk war.
Während die westlichen Massenmedien dem JIT große Glaubwürdigkeit attestieren, hat das JIT selbst eine Abhängigkeit vom ukrainischen SBU zugegeben, der die Untersuchung durch das Bereitstellen seiner ausgewählten Telefonmitschnitte manipulierte.
Jedoch ist der SBU keineswegs eine neutrale Partei in der Untersuchung, und sie haben auch keine sauberen Hände in dem ukrainischen Bürgerkrieg, der auf den von den USA unterstützten Putsch mit der Absetzung des Präsidenten Viktor Janukowitsch am 22. Februar 2014 folgte und der einen Aufstand unter den ethnisch russischen Ukrainern auslöste, die im Osten und im Süden die politische Basis von Janukowitsch repräsentierten.
Seither stand der SBU in vorderster Front bei der Niederschlagung der Rebellion, mit umstrittenen Methoden. Ende Juni 2016 hat der stellvertretende Generalsekretär für Menschenrechte bei der UN, Ivan Simonovic, den SBU beschuldigt, die UN-Untersuchungen zu dessen vermuteter Rolle bei Folter und anderen Kriegsverbrechen zu behindern.
Simonovic kritisierte den SBU dafür, „nicht immer den Zugang zu Orten gewährt zu haben, wo Gefangene untergebracht sein könnten. … OHCHR (das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte) erhält nach wie vor Berichte über Folter und Misshandlung, willkürliche und Isolationshaft durch den SBU, besonders in der Konfliktzone.“
„Folter und Drohungen gegenüber Familienmitgliedern, einschließlich sexueller Drohungen, sind niemals gerechtfertigt, und die Täter werden sich früher oder später rechtfertigen müssen. …Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Verstöße gegen die Menschenrechte können kein Teil einer Amnestie sein.“
Dennoch beeinflusst der SBU stark die Richtung des JIT, zu dem neben der Ukraine die Niederlande, Belgien, Australien und Malaysia gehören. Das JIT-Abkommen gab der Ukraine ein Vetorecht über das was veröffentlicht wird – auch wenn ukrainische Militäreinheiten unter den logischen Verdächtigen im Fall MH17 sind.
Man verlässt sich auf ukrainische Geheimdienste
Anfang dieses Jahres hat ein interner Bericht das Vorgehe des JIT beschrieben und aufgezeigt, wie abhängig die Ermittler von den Informationen des SBU geworden sind. In dem Bericht heißt es, der SBU habe dabei geholfen, die MH17 Untersuchung zu formen. Durch die Auswahl der Telefonmitschnitte und anderer Materialien, die vermutlich keine sensiblen Geheimnisse enthalten, die auf die politische ukrainische Aufsicht des SBU hinweisen könnten. Aber das JIT schien diesen Interessenkonflikt gar nicht wahrzunehmen und sagte:
„Seit der ersten Septemberwoche 2014 haben Ermittlungsbeamte aus den Niederlanden und Australien hier (in Kiew) gearbeitet. Sie arbeiten in enger Zusammenarbeit mit dem Sicherheits- und Untersuchungsdienst der Ukraine (SBU). Sofort nach dem Absturz hat der SBU eine große Anzahl abgehörter Telefonate und anderer Daten zur Verfügung gestellt. …“ (Anm.d.Ü.: nur nicht die Radar- und Funksprechaufzeichnungen der Flugsicherung, die sind nach wie vor nicht auffindbar.)
„War die Zusammenarbeit mit der SBU zunächst ziemlich formell, so wurde sie nach und nach flexibler. ‚Besonders aufgrund der Datenanalyse konnten wir unseren Mehrwert beweisen‘, sagte Van Doorn (Vertreter der holländischen Polizei). ‚Seither bemerken wir, dass sie mit uns auf jede Art in sehr offener Weise kooperieren. Sie teilen ihre Fragen mit uns und denken so gut es geht darüber nach.‘.“
Der interne JIT-Bericht weiter: „Mit den abgehörten Telefonaten des SBU gibt es Millionen ausgedruckter Zeilen mit Metadaten, zum Beispiel über die benutzten Mobilmasten, die Länge der Gespräche und die beteiligten Telefonnummern. Die Ermittlungsbeamten graben sich durch diese Daten und verbinden sie, um die Verlässlichkeit des Materials zu verifizieren. …“
„Mittlerweile sind sich die Ermittler über die Verlässlichkeit des Materials sicher. ‚Nach eingehender Untersuchung scheint das Material sehr solide zu sein‘, sagte Van Doorn, ‚auch das hat zu dem gegenseitigen Vertrauen beigetragen‘.“
Eine weitere Sorge darüber, wie der SBU die JIT-Untersuchung manipuliert haben könnte ist, dass die lange Verweildauer der Ermittler in Kiew über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren zu kompromittierenden Situationen führen könnte. Kiew hat einen Ruf als führendes Zentrum für Prostitution und Sextourismus, und es bieten sich Möglichkeiten für andere menschliche Beziehungen zwischen australischen und holländischen Ermittlern mit ukrainischen Geheimdienstmitarbeitern.
Gemäß dem JIT-Bericht sind vier Ermittlungsbeamte aus Australien in einer Drei-Monats-Rotation in Kiew, während die holländische Polizei mit zwei Teams rotiert, wo sich jeweils fünf Personen für einen Zeitraum von zwei Wochen in Kiew aufhalten.
Die relative Isolation der australischen Ermittler trägt weiter zu ihrer Abhängigkeit von den ukrainischen Gastgebern bei. Aus dem Bericht: „Die australischen Ermittler sind 26 Flugstunden von ihrer Heimat entfernt und müssen mit einer großen Zeitdifferenz umgehen. ‚Für uns Australier ist es schwieriger, mit unserer Heimat in Kontakt zu kommen, daher ist unser Auftrag in Kiew ziemlich isoliert‘, sagt (Andrew) Donoghoe.“ Er ist vorgesetzter Ermittlungsbeamter der australischen Bundespolizei.
Der Beistand der SBU hat jedoch zu keiner schnellen Lösung des MH17-Rätsels geführt, mehr als zwei Jahre sind seither vergangen. Der Bericht des Dutch Safety Board vom letzten Oktober hat den vermuteten Abschussort der Rakete auf ein 320 km² großes Gebiet eingegrenzt, dazu gehört Regierungs- und Rebellengebiet.
Nach Ergebnissen des holländischen Geheimdienstes, ebenfalls vom letzten Oktober, gehörten die einzigen Flugabwehrraketen am 17. Juli 2014 in der Ostukraine, die ein Flugzeug in 33.000 ft abschießen konnten, dem ukrainischen Militär.
Und dann ist da diese seltsame „warum-schlägt-der-Hund-nicht-an?“-Stille aus der US-Geheimdienstkommune. Außenminister John Kerry behauptete zwar sofort nach dem Abschuss, er kenne den Abschussort der Rakete, aber die US-Regierung wurde still, nachdem CIA-Analysten Zeit hatten, die US Satelliten-, die elektronischen und andere Geheimdienstdaten auszuwerten.
Eine Quelle, die von einem US-Geheimdienstanalysten unterrichtet wurde, sagte mir, dass man den Angriff als eine außer Kontrolle geratene Aktion der Ukraine betrachte, unter Beteiligung eines knallharten Oligarchen mit dem Motiv, das Regierungsflugzeug (mit einer ähnlichen Bemalung wie MH17) des russischen Präsidenten abzuschießen, der am selben Tag aus Südamerika heimkehrte. Aber ich kann nicht sagen, ob diese Einschätzung eine abweichende oder die einhellige Meinung der US Geheimdienstgemeinde ist.
Die russische Regierung hat für ihren Teil dementiert, dass sie die ostukrainischen Rebellen mit einem Buk-System beliefert hat, aber die Rebellen besaßen MANPADS mit kürzerer Reichweite, die man von der Schulter aus abfeuern kann.
Robert Parry, US-amerikanischer Journalist, der in den Vereinigten Staaten vor allem in den 1980ern durch seine Arbeiten zur Iran-Contra-Affäre, damals für Associated Press und Newsweek bekannt wurde. Sie können sein letztes Buch “America’s Stolen Narrative” entweder als print oder als E-Book (via Amazon oder bei barnesandnoble.com) kaufen.